Aigner: ,,Bruno Ganz hat die wunderbare Gabe, den Zuschauer sofort in seinen Bann zu ziehen”

Bayerns Medienministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin Ilse Aigner hat heute bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises 2016 den Ehrenpreis des Ministerpräsidenten an Bruno Ganz überreicht. „Bruno Ganz ist ein Grenzgänger zwischen dem Möglichen und dem für unmöglich Gehaltenen. Er macht das Abgründige, Widersprüchliche und Geheimnisvolle in seinen Rollen spürbar. In Filmen wie ‚Der Himmel über Berlin‘, ‚Der Untergang‘ oder erst vor kurzem in ‚Heidi‘ demonstriert Bruno Ganz die wunderbare Gabe, den Zuschauer sofort in seinen Bann zu ziehen“, so Aigner anlässlich der Preisverleihung. Der Bayerische Filmpreis wurde in diesem Jahr bereits zum 38. Mal verliehen. „Ich gratuliere allen Preisträgern und danke den Filmemachern für die schönen Stunden, die sie uns mit unterhaltsamen, lustigen, mitreißenden, aber auch nachdenklichen Filmen bescheren“, sagte Aigner bei der feierlichen Gala im Münchner Prinzregententheater.

Begründung der Jury zum Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten an Film- und Theaterschauspieler Bruno Ganz in Anerkennung seiner herausragenden Leistungen für den deutschen Film:

Bruno Ganz ist ein Menschendarsteller, auch wenn er ein Engel ist, wie in „Der Himmel über Berlin“. Er spricht mit seinem Publikum, auch wenn er nicht viel sagt. Bruno Ganz, Träger des Iffland-Ringes, ehemaliger Präsident der Deutschen Filmakademie, ein Theaterstar, ist einer der Großen des internationalen Kinos. Aber das steht zurück, wenn er spielt. Deshalb haben sie alle mit dem stillen Schweizer Schauspieler gearbeitet, große Meister wie: Éric Rohmer, Wolfgang Petersen, Werner Herzog, Volker Schlöndorff, Alexander Kluge, Reinhard Hauff, Ridley Scott, Francis Ford Coppola, Atom Egoyan.

Das deutschsprachige Regie-Theater der 60er und 70er hat ihn groß gemacht, geprägt. Populär wurde er im Kino mit „Der amerikanische Freund“ von Wim Wenders und das Gesicht des Neuen Deutschen Films. Ein poetisches Meisterwerk, in dem Bruno Ganz an der Seite der Kinoikonen Dennis Hopper, Sam Fuller und Nicholas Ray auch international auf sich aufmerksam macht.

Unzählige weitere Erfolge, wie „Brot und Tulpen”, „Der Baader Meinhof Komplex“ oder zuletzt „Heidi“ und „Remember“ sind nur einige der vielen Kinomomente seiner Karriere.

Eine Rolle hat ihm besondere Kraft abverlangt und er hat es sich mit seiner Entscheidung nicht leicht gemacht. Über seine Darstellung des Adolf Hitler in „Der Untergang“ sagte Bruno Ganz: „Hitler zu spielen hat mich irgendwie moralisch befleckt.“ Und doch hat er uns mit dem Wahn, der Hybris, der Abartigkeit, der Boshaftigkeit dieser historischen Figur konfrontiert bis an die Schmerzensgrenze. So eine Rolle vergisst man nicht.

Bruno Ganz macht weiter mit seiner Suche nach dem Kern, er macht es sich zur Aufgabe, das Menschliche freizulegen. Sei es als Engel, Kellner, Kunstmaler oder Schreckensfigur. „Voilà un homme“ hat Napoleon bei der Begegnung mit Goethe gesagt. „Siehe da, ein Mensch“, das muss man auch über Bruno Ganz sagen, wenn er uns so unvergleichlich von der Leinwand herab anschaut und wir uns vielleicht selbst sehen.

Neben dem Ehrenpreis wurden folgende weiteren Preise vergeben:

Der Produzentenpreis geht mit 200.000 Euro an Max Wiedemann und Quirin Berg von der Wiedemann & Berg Film sowie an Dr. Michael Verhoeven von Sentana Film und an Simon Verhoeven für die Produktion des Films „Willkommen bei den Hartmanns“.

Begründung der Jury:

Mit dem Film „Willkommen bei den Hartmanns“ haben die Produzenten von Wiedemann & Berg, Sentana Film und Simon Verhoeven eine vielschichtige Komödie gestaltet, die das in Deutschland allgegenwärtige Flüchtlingsthema temporeich und humorvoll, immer aber auch mit einem kritischen Blick aufgreift und dabei uns und unseren Mitmenschen einen Spiegel vorhält, der schmunzeln lässt, aber auch nachdenklich macht. Dieses Projekt, bei dem Simon Verhoeven gleichzeitigt auch Regie geführt und das Drehbuch geschrieben und mehrfach aus Aktualitätsgründen umgeschrieben hat, war von Anbeginn eine Gratwanderung zwischen dem Ernst des Themas und dem Anspruch, es publikumswirksam umzusetzen. Gemeinsam mit dem Regisseur und einem herausragenden Schauspielerensemble ist es den Produzenten gelungen, stets die Balance zwischen diesen Polen zu halten und weder in ein Katastrophenszenario, noch in Klamauk abzugleiten. So wurde „Willkommen bei den Hartmanns“ zu einem großen, vergnüglichen Kinoerlebnis, das generationsübergreifend unterhalten und gleichzeitig zur Diskussion anzuregen vermag.

Das Filmjahr 2016 war durch besonders starke Leistungen von Regisseurinnen geprägt. Der Regiepreis (dotiert mit je 4.000 Euro) wird in diesem Jahr daher fünf Mal vergeben.

Maren Ade für „Toni Erdmann“

Begründung der Jury:

Ines ist als Unternehmensberaterin in der ganzen Welt unterwegs; den Draht zu Ihrem Vater hat sie schon lange verloren. Bis der sie in der Gestalt von Toni Erdmann einholt und sie sich ihm stellen muss.

Wer glaubt, dass man seiner Familie und seinen Wurzeln irgendwann im Leben entkommen kann, der irrt. Den Beweis tritt Maren Ade in ihrem hinreißend komischen und klugen Drama „Toni Erdmann“ an. Ein Film, dessen Siegeszug um die Welt nicht aufhört. Gefeiert in Cannes und unzähligen anderen Festivals, jetzt auf dem Weg nach Hollywood. Ein Meisterwerk, das einen zum Lachen bringt, zu Tränen rührt und auch ein kleines bisschen gruselt.

Maria Schrader für „Vor der Morgenröte“

Begründung der Jury:

In „Vor der Morgenröte“ verzweifelt der Schriftsteller Stefan Zweig, herausragend gespielt von Josef Hader, auf dem Höhepunkt seiner Karriere an Heimatlosigkeit und finsteren Vorahnungen im brasilianischen Exil. Maria Schrader, die hierfür gemeinsam mit Jan Schomburg auch das Drehbuch schrieb, inszeniert dieses ungewöhnliche Biopic mit unaufdringlicher Eleganz in sechs eindringlichen Kapiteln, die sowohl als psychologische Studien wie auch durch ihre filmästhetische Kraft überzeugen.

Nicolette Krebitz für „Wild“

Begründung der Jury:

In ihrem wagemutigen Gedankenspiel „Wild“ zeigt uns Nicolette Krebitz die aufregende Begegnung zwischen einer Frau und einem wilden Wolf. Unter ihrer souveränen Regie erfüllen sich keine konventionellen Erwartungen, sondern bewegt sich diese Geschichte mutig in unbekanntes Terrain. Auf poetische und radikale Weise erzählt die Regisseurin und Autorin von der Befreiung einer jungen Außenseiterin aus ihren gesellschaftlichen Konventionen. Nur selten erleben wir im Kino, wie sich eine Figur so konsequent selbst verwirklicht und ihre Sehnsüchte und Träume lebt. Diesen Film werden wir nicht so schnell vergessen!

Marie Noëlle für „Marie Curie“

Begründung der Jury:

In „Marie Curie“ erzählt Co-Autorin und Regisseurin Marie Noëlle die Geschichte einer starken und gleichzeitig verletzlichen Frau, einer großen Wissenschaftlerin und leidenschaftlichen Kämpferin für die Geleichberechtigung. Unsentimental und mit einem verblüffend sicheren und lebendigen Umgang mit der Historie überzeugt diese Regieleistung sowohl formal wie emotional. Noëlle gelingt die Zeichnung einer komplexen und leidenschaftlichen Frauenfigur, die durch die nuancierte darstellerische Leistung von Karolina Gruszka, zum Leben erweckt wird und dem Zuschauer die aktuelle Relevanz ihres Kampfes für die Gleichstellung von Mann und Frau deutlich macht.

Franziska Meletzky für „Vorwärts immer!“

Begründung der Jury:

Oft schon musste die DDR als Gegenstand für Komödien herhalten. Nur selten sind diese Versuche wirklich so gelungen wie „Vorwärts immer!“. Darin geht es um Erich Honecker und seine Beziehung zu Margot, um einen Honecker-Imitator und dessen schwangere Tochter, auf der Flucht in den Westen. Es geht um Theater und Politik und bis in die Details hinein spürt man, dass die Regisseurin und Co-Autorin weiß wovon sie redet. Ein brillant inszeniertes, rasantes Stück intelligente Unterhaltung. Die Regisseurin führt ihr Darstellerensemble zu hervorragenden schauspielerischen Leistungen, allen voran Jörg Schüttauf und Hedi Kriegeskotte als Erich und Margot Honecker.

Der Nachwuchsregiepreis (dotiert mit 10.000 Euro) geht an Jakob M. Erwa für seinen Film „Die Mitte der Welt“.

Begründung der Jury:

Der Regisseur und Autor von „Die Mitte der Welt“ erzählt die komplexe Familiengeschichte aus Sicht des 17-jährigen Phil virtuos und intensiv und in außergewöhnlichen Bildern, durchwebt von poetischen Aufnahmen und mit einer großen visuellen Kraft. Es ist mehr als ein coming of age-Drama.

Jakob Erwa zeigt ungezwungen und mit ungeheurer Selbstverständlichkeiten die Liebe zweier erwachsen werdender Jungen, ohne Scheu und mit einem großen Zauber in ihren erotischen Begegnungen. Er setzt dies in Bilder, die nicht einfach atmosphärisch sind, sondern von Gefühlen sprechen, märchenhaft anmutende Sequenzen, fantasievoll, dramatisch, emotional – und entfaltet mit genauem feinen Blick die reichen Innenwelten seiner Figuren. Unangepasst, verspielt und erfrischend zeigt sich „Die Mitte der Welt“ frei von Kitsch mit zarter Melancholie und in einem Feuerwerk von Kinobildern.

Der Preis für die beste Darstellerin (dotiert mit 10.000 Euro) wird verliehen an Sandra Hüller für ihre Rolle in „Toni Erdmann“.

Begründung der Jury:

Wenn sich spürbar Scham und Liebe mischen, Enttäuschung und Ungeduld, Erwartung und Verzweiflung, wenn dieser schmale Grat zwischen Drama und Komik grandios funktioniert, dann liegt das in „Toni Erdmann“ vor allem an Sandra Hüller. Mit stoischer Ernsthaftigkeit versucht sie als Unternehmensberaterin Ines Conradi ihr Businessleben zu meistern, obwohl ihr schrulliger Vater als Toni Erdmann ihr ständig in die Quere kommt. Einzigartig und unvergesslich, wie sich ihre Ines aus dem zu engen Kleid schält, um spontan zur Nacktparty einzuladen oder emotional aufgewühlt, dramatisch eine Whitney Housten-Einlage zum Besten gibt oder Ines schließlich in den haarigen Armen des verkleideten Vaters landet, um nur ein paar der schauspielerischen Höhepunkte zu nennen. Dabei ist Sandra Hüller so durchlässig, seltsam, zart und stark zugleich. Umgeben von einem großen, schauspielerischen Geheimnis, das sie uns Zuschauern hoffentlich nie verrät, möchte man sie durch jede Geschichte begleiten.

Den Preis als bester Darsteller (dotiert mit 10.000 Euro) erhält Jörg Schüttauf für seine Rolle in „Vorwärts immer!“.

Begründung der Jury:

Komödie ist die Königsdisziplin, hier kann man es sehen: Wie Jörg Schüttauf in der Komödie „Vorwärts immer!“ die Doppelrolle als Erich Honecker und Theaterschauspieler Otto Wolf lustvoll meistert, wie er zwischen den Gefühlswelten eines liebenden, besorgten Vaters und eines demontierten Staatsoberhauptes hin und her springt, ist ein schauspielerisches Fest. Nie zu dick aufgetragen, aber immer auf den Punkt, setzt er Pointen, sendet Blicke, wahrt er Form, und springt virtuos zwischen den zwei Figuren hin und her, so dass man als Zuschauer aus dem Schmunzeln nicht herauskommt.

Der Preis für die beste Nachwuchsdarstellerin (dotiert mit 10.000 Euro) wird verliehen an Lea van Acken für ihre Rolle in „Das Tagebuch der Anne Frank“.

Begründung der Jury:

Die Geschichte des jüdischen Mädchens Anne Frank, das mehr als zwei Jahre mit ihrer Familie in einem Versteck unter dem Dach eines Amsterdamer Hinterhaus den Häschern der Gestapo entkam, um dann in den letzten Kriegsmonaten doch noch entdeckt, deportiert und ermordet zu werden, ist uns seit Generationen gegenwärtig. In der neuen Verfilmung von Hans Steinbichler ist es vor allem der jungen Schauspielerin Lea von Acken zu verdanken, dass diese Tragödie und das Leiden der Titelheldin samt ihrer Familie und Freunden für den Zuschauer ganz besonders eindrücklich erlebbar und nachvollziehbar werden. Lea van Acken macht mit ihrem nuancierten Spiel Anne Frank für uns lebendig. Dank ihrer Schauspielkunst lernen wir alle Facetten dieses jungen und begabten Mädchens kennen: Ihre Ängste, ihre Hoffnungen, ihre Ungeduld, ihre Widersprüchlichkeit, ihr Auflehnen und vor allem ihren unbezwingbaren Drang nach einem freien und selbstbestimmten Leben – und wir spüren über sie die klaustrophobe Enge des Verstecks und die sinnlose Bösartigkeit der Verfolger, die zuletzt ihr Ziel erreichen, allerdings ohne Anne Frank brechen zu können.

Der Preis für den besten Nachwuchsdarsteller (dotiert mit 10.000 Euro) wird verliehen an Jannis Niewöhner für seine Rollen in „Jonathan“ und „Jugend ohne Gott“.

Begründung der Jury:

Gleich in zwei Hauptrollen fällt Jannis Niewöhner dieses Jahr durch sein Können auf: in „Jugend ohne Gott“ spielt er einen Eliteschüler, still und reflektiert, der sich aus dem vorgegebenen Wertesystem befreit. Als „Jonathan“ im gleichnamigen Film beeindruckt er als verzweifelter, besorgter Sohn, der voller Wut und Fragen nach und nach dem Geheimnis um seinen todkranken Vater auf die Spur kommt. Auch wenn die Figuren sehr unterschiedlich sind, beide tragen sie uns Zuschauer durch emotionale Welten: man lebt, leidet, bangt mit ihnen mit. Dabei besticht Jannis Niewöhner durch seine ungewöhnlich physische Präsenz, Natürlichkeit und durchblitzende Sensibilität. Man kann sich auf weitere Filme mit ihm nur freuen. Viel Glück für alles was da noch kommt!

Den Preis für das beste Szenenbild (dotiert mit 10.000 Euro) erhält Eduard Krajewski für den Film „Marie Curie“.

Begründung der Jury:

Ein kleines Labor in einem Pariser Hinterhof dient der zweifachen Nobelpreisträgerin Marie Curie als Arbeitsplatz. Dieses Labor bildet den Spiegel und das Vergrößerungsglas des schöpferischen und wissenschaftlichen Genies Marie Curie, die wie kaum eine andere Wissenschaftlerin die Medizin revolutionär beeinflusst hat. In liebevollen Details gestaltet Eduard Krajewski dieses Labor, und so gelangen wir mitten hinein in das Paris Anfang des 20. Jahrhunderts. Dabei setzt er durch handverlesene Gerätschaften und Accessoires die emotionalen Gefühlswelten der genialen Forscherin immer wieder in neue Zusammenhänge, spiegelt sie durch unterschiedliche Atmosphären und Stimmungen und verleiht ihr, bei allen historischen Bezügen eine gewisse Gegenwartspräsenz. Auch die Privaträume sind als Spiegelung der emotionalen Befindlichkeiten gestaltet; hell und klar laden sie zum Leben aber auch genießen ein.

Eduard Krajewski hat mit genauem Blick und sensibler Hand ein beeindruckendes Szenenbild für den Film über eine beeindruckende Frau geschaffen, bei dem die Jury von der Stimmigkeit der einzelnen Szenen und Räume fasziniert war

Den Preis für Bildgestaltung (dotiert mit 10.000 Euro) bekommt Frank Lamm für den Film „Paula“.

Begründung der Jury:

„Cinematographer“, „Director of Photography“ oder schön nostalgisch „Kameramann“. Unter diesen Bezeichnungen kann man viele Namen finden, doch einer sticht in diesem Jahr besonders hervor: Frank Lamm!

Mit „Paula“, dem Film über die großartige Malerin Paula Modersohn-Becker hinterlässt Frank Lamm seine Handschrift in Bildern, die dieser extremen und hochbegabten Malerin ein Denkmal setzen, ohne peinliche Nachempfindungen ihrer Bilder zu versuchen: farbig, aber nicht bunt, lichtdurchflutet, aber nicht überbelichtet. Wie gut Frank Lamm sein Handwerk versteht, wird aber auch bei seinen anderen Filmen deutlich. Zum Beispiel in „Jugend ohne Gott“ sind es die ausdrucksstarken, kalten Bilder, die dieser interessanten Ödön von Horvath-Verfilmung ihren Stempel aufdrücken. Gerade in der Gegensätzlichkeit, in der diese beiden Filme aufgenommen sind, wird die große Bandbreite an fotografischen Ausdrucksmöglichkeiten und handwerkliche Perfektion dieses Kameramanns deutlich, so dass da von „einer“ Handschrift kaum die Rede sein kann. In diesem Jahr bleibt er dem Publikum vor allem mit seiner Handschrift zu „Paula“ in Erinnerung.

Der Dokumentarfilmpreis (dotiert mit 10.000 Euro) geht an Andreas Voigt (Regie und Drehbuch) für seinen Film „Alles andere zeigt die Zeit“.

Begründung der Jury:

Wer etwas erfahren will über Deutschland wie es heute ist, der kann 100 Bücher und viele Tageszeitungen lesen – oder er sieht sich einen Film von Andreas Voigt an: „Alles andere zeigt die Zeit“. Von seiner Dokumentation als Langzeitstudie zu sprechen, wird dem Projekt nicht ausreichend gerecht. Voigt erzählt darin unsentimental doch niemals kühl von drei Menschen, die er über ein Vierteljahrhundert, von 1989 bis 2015, immer wieder getroffen hat. Manche seiner Protagonisten tauchten schon in früheren Teilen seiner Leipzig-Reihe auf, nun fokussiert er sich ganz auf Isabel, Jenny und Sven. Sie waren Jugendliche als die Mauer fiel. Was für die drei folgte, hatte komische und tragische Momente: So wurde die Punkerin zur Insolvenzverwalterin, der schmächtige, linksbewegte NVA-Soldat zum über und über tätowierten, bulligen Klopfer rechter Parolen – und eine zur Halbwaise, die heute nach dem Geheimnis ihrer Familie forscht. Andreas Voigt, selbst noch zu Defa-Zeiten ausgebildet, setzt allen dreien ein Zeugnis und analysiert dabei brillant den aktuellen Zustand unserer Gesellschaft.

Den Preis für den besten Jugendfilm (dotiert mit 10.000 Euro) erhält der Produzent Marco Mehlitz für „Tschick“.

Begründung der Jury:

Jeder wollte den Roman von Wolfgang Herrendorf verfilmen. Marco Mehlitz hatte die Kraft und den langen Atem aus dem Jugendbuch, welches heute schon Kult-Charakter hat, einen Film zu produzieren, der von Fatih Akin inszeniert wurde und der dem wunderbaren Buch ein Denkmal setzt.

Der Film besticht durch seine dichte Atmosphäre, die Liebe zu den Figuren und einem wunderbaren Humor, der nie zynisch ist. So wie der verstorbene Wolfgang Herrendorf nie zynisch war, auch wenn er leider diesen wunderbaren Film nicht mehr sehen konnte, weil er viel zu früh gestorben ist.

In diesem Jahr wird außerdem ein undotierter Sonderpreis vergeben, den die beiden deutschen Produzenten Philip Schulz-Deyle von KrautPack Entertainment und Moritz Borman für den Film „Snowden“ erhalten.

Wir alle kennen die Geschichte um Edward Snowden. Der „Whistleblower“ hat eine der brisantesten Polit-Affären der letzten Jahre aufgedeckt und trotz Gefahr für sich und seine Familie auf das Ausmaß der Überwachung unserer Gesellschaft aufmerksam gemacht. Nun hat der Alt-Meister des politisch engagierten US-Independant-Kinos, Oliver Stone, die Geschichte Edward Snowdens als Politthriller verfilmt. Dabei legt er das Augenmerk nicht auf die turbulente Geschichte der Flucht Snowdens nach Rußland, sondern zeichnet, basierend auf den Büchern „The Snowden Files: The Inside Story of the World’s Most Wanted Man“ und „Time of the Octopus“ minutiös den Wandel eines patriotisch eingestellten IT-Nerds zum meistgesuchten Whistleblower der Vereinigten Staaten nach. Ganz nebenbei erklärt er uns, wie politische Entscheidungen dieser Tragweite in einem durch Misstrauen geprägten Militär- und Spionagemilieu entstehen. Ein hervorragend gemachter Politthriller, der durch die besondere produzentische Leistung von Philippe Schulz-Deyle von KrautPack Entertainment und Moritz Bormann zu großen Teilen in Bayern entstanden ist.

Der Preis der Verwertungsgesellschaft für Nutzungsrechte an Filmwerken (VGF) wird verliehen an David Lindner Leporda für den Film „Die Reise mit Vater“. Das Preisgeld von 60.000 Euro ist nicht zweckgebunden und soll der Stärkung des Eigenkapitals von jungen Produktionsfirmen dienen, die hohe finanzielle Risiken mit der Produktion von nicht immer kalkulierbaren Filmprojekten eingehen.

Den Publikumspreis, der von den Zuschauern des BR Fernsehens und den Hörern von BAYERN 3 ausgewählt wurde, erhält Simon Verhoeven für seinen Film „Willkommen bei den Hartmanns“.

Die Preisträger erhalten bei erstmaliger Auszeichnung als Preissymbol den „Pierrot“, bei weiteren Prämierungen eine andere Figur aus der „Italienischen Komödie“ nach Entwürfen von Franz-Anton Bustelli der Porzellanmanufaktur Nymphenburg sowie einen Geldbetrag. Mit einer Preissumme von insgesamt 300.000 Euro gehört der Bayerische Filmpreis zu den bedeutendsten Medienpreisen in Deutschland.

Die Mitglieder der Jury 2016 sind: Dagmar Biller, Susanne Hermanski, Elisabeth Kuonen-Reich, Caroline Link, Maggie Peren, Gernot Roll, Bettina Reitz, Bettina Ricklefs, Jule Ronstedt, Klaus Schaefer und Daniel Curio (Vorsitzender).