■ In vier von fünf Unternehmen wünschen sich Mitarbeiter mehr Flexibilität
■ Starre Gesetze behindern neue Arbeitsformen
■ Vorschläge im Weißbuch „Arbeiten 4.0“ von Ministerin Nahles greifen zu kurz
Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und mehr Raum für Familie und Freizeit: Mit der Digitalisierung verändern sich nicht nur Berufsbilder und Arbeitsinhalte, sondern auch die Ansprüche an den Arbeitsplatz. Vier von fünf Unternehmen (79 Prozent) berichten, dass sich ihre Mitarbeiter eine flexible Arbeitsgestaltung wünschen, wie Homeoffice, Familienzeit und Sabbaticals. Fast jeder zweite Chef (48 Prozent) sagt aber auch, dass die Gesetze dafür noch gar nicht reif sind: Demnach sehen sich die Unternehmen gezwungen, an klassischen Arbeitsverhältnissen festzuhalten, anstatt flexiblere Formen anzubieten. Die Wirtschaft erwartet, dass sich das auf absehbare Zeit kaum ändern wird. Auch in zehn Jahren würden normale Arbeitsverhältnisse überwiegen, erklären 69 Prozent der Unternehmen. Das geht aus einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Digitalverbands Bitkom zur Zukunft der Arbeit hervor.
„Stechuhr und Kernarbeitszeit haben in vielen Jobs längst ausgedient, die Erwerbstätigen möchten zunehmend flexibel und selbstbestimmt arbeiten“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. „Eigenverantwortliches und projektorientiertes Arbeiten wird künftig immer wichtiger. Neue Technologien machen das heute schon möglich.“ Das sei allerdings keine Einbahnstraße, mahnt Rohleder an. „Flexibilität muss für beide Seiten möglich sein – für Mitarbeiter und Unternehmen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert.“ Konkrete Vorschläge finden sich im Weißbuch „Arbeiten 4.0“, das Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles heute vorgelegt hat. Darin wird unter anderem empfohlen, für Beschäftigte ein persönliches Erwerbstätigenkonto mit einem steuerfinanzierten „Startkapital“ anzulegen, das sie für Qualifizierung und Auszeiten nutzen können. Zudem sollen bestehende Möglichkeiten der Weiterbildungsförderung auch im Hinblick auf digitale Kompetenzen geprüft werden. Darüber hinaus wird ein Wahlarbeitszeitgesetz diskutiert, das Beschäftigten mehr Wahlmöglichkeiten in Bezug auf Arbeitszeit und -ort einräumt und zunächst zeitlich befristet in einzelnen Unternehmen erprobt werden soll.
Bitkom begrüßt es, dass das Bundesarbeitsministerium die Bedeutung der Weiterbildung erkannt hat und eine gewisse Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes in Aussicht stellt. Die Vorschläge greifen jedoch zu kurz. Denn die Möglichkeit der Abweichung von den geltenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes wird an sehr enge Voraussetzungen gebunden. Bitkom fordert dagegen, das Arbeitsrecht konsequent an die Bedingungen der Digitalisierung anzupassen. So sollte die Digitalwirtschaft, in der gute Löhne gezahlt werden und sich der Fachkräftemangel weiter zuspitzt, grundsätzlich von den Einschränkungen bei Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträgen ausgenommen werden. Zudem sollten für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf neue Formen der Arbeits- und Arbeitszeitgestaltung rechtlich ermöglicht werden. Insbesondere das Arbeitszeitgesetz muss flexibler ausgestaltet werden. Die gesetzlich vorgeschriebene elfstündige Ruhepause ist beispielsweise nicht mehr zeitgemäß und steht dem Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten entgegen. Auch die betriebliche Mitbestimmung muss dem digitalen Wandel der Arbeit Rechnung tragen.
Lebenslanges Lernen und speziell der Erwerb von Digitalkompetenzen seien die zentrale Voraussetzung für eine dauerhafte Beschäftigung, erklärt Rohleder. Voraussetzung sei ein zeitgemäßer gesetzlicher Ordnungsrahmen, der stetig weiterentwickelt werden müsse. „Die Zukunft der Arbeit müssen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gemeinsam gestalten. Der politische Dialog über Arbeit 4.0 muss als fortdauernder Prozess weitergeführt werden.“
Hinweis zur Methodik: Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverbands Bitkom durchgeführt hat. Dabei wurden 1.534 Unternehmen befragt. Die Umfrage ist repräsentativ. Die Fragestellung lautete: „Stimmen Sie den Aussagen zu oder nicht zu?“. Die Aussagen lauteten: „Die Mitarbeiter fordern von uns, flexible Arbeitsgestaltung, z. B. durch Homeoffice, Sabbaticals etc., zu ermöglichen“, „Die gesetzlichen Regelungen zwingen uns, uns am Normalarbeitsverhältnis zu orientieren, anstatt flexiblere Arbeitsformen zu nutzen“ und „Das Normalarbeitsverhältnis wird auch in zehn Jahren noch das dominierende Arbeitsverhältnis in unserem Unternehmen sein“.