Bergunfallstatistik: Die Zahl der Bergnotfälle steigt leicht an

Foto: Markus Leitner

Hauptursache: Falsche Planung und fehlende Erfahrung

Die wichtigste Nachricht lautet: Das Risiko, beim Bergsport tödlich zu verunglücken, sinkt seit mehr als 60 Jahren und befindet sich auf einem historischen Tiefstand. Gleich dahinter kommt aber diese zweite Nachricht: Seit den 90er Jahren nehmen alpine Notfälle insgesamt leicht zu. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass immer mehr Menschen in die Berge gehen und im Notfall die Alarmierung mit Handy nahezu reibungslos funktioniert.

Einen sichtbaren Effekt hat aber auch die Übermotivation, mit der viele Bergsportlerinnen und Bergsportler an „Prestigebergen“ wie der Zugspitze oder dem Watzmann unterwegs sind. Und schließlich wird inzwischen auch eine neue Unfallursache sichtbar – der Klimawandel. Über alle Disziplinen hinweg gilt: Es trifft vor allem die Unerfahrenen und diejenigen, die nicht die passenden Touren für sich auswählen. Für die Kletterhallen lassen sich wegen der noch sehr jungen Zahlenbasis kaum Trendaussagen machen. Fest steht aber: Das Unfallrisiko beim Indoorklettern ist ausgesprochen gering. Statistisch gesehen müssten Kletterinnen und Kletterer mehr als 300 Jahre aktiv sein, bis sie zum ersten Mal einen Unfall erleiden. Und der ist im Durchschnitt dann auch noch mit weniger gravierenden Verletzungen verbunden.

„Blockierungen“ werden deutlich mehr
Seit 1952 gibt es die DAV-Bergunfallstatistik, und seitdem ist die Zahl der Mitglieder um den Faktor elf gewachsen. Die Zahl der tödlich verunfallten Mitglieder ist im gleichen Zeitraum – mit wenigen Ausreißern zwischendurch – nahezu gleich geblieben. Insofern ist das Risiko eines tödlichen Bergunfalls auf ein Elftel gesunken. Nicht ganz so eindeutig hat sich das Risiko für Bergnotfälle insgesamt (Unfälle mit Todesfolge, Unfälle mit Verletzungsfolgen, Notlagen ohne Verletzungsfolgen) entwickelt: Nach einem deutlichen Rückgang bis in die 80er Jahre ist seit den 90er Jahren ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Verantwortlich dafür sind insbesondere die so genannten Blockierungen, also Situationen, aus denen sich Bergsteigerinnen und Bergsteiger ohne Hilfe von außen nicht mehr befreien können. Diese bleiben meist ohne Verletzungsfolgen, machen aber einen Rettungseinsatz nötig. Die Anzahl der Blockierungen steigt seit 20 Jahren stärker an als das Mitgliederwachstum. Neben den tödlichen Unfällen und den Blockierungen sind die Unfälle mit Verletzungsfolgen die dritte Art der Bergnotfälle. Im Verhältnis zum Mitgliederwachstum bewegen sich diese Unfälle auf einem stabilen Niveau.

Alarmierungen per Mobiltelefon deutlich gestiegen
Waren es in den Jahren 2002/03 noch 56 Prozent aller Alarmierungen, die per Mobiltelefon bei den Rettungsdiensten eingegangen sind, so sind es inzwischen über 80 Prozent. Damit einher gegangen ist eine Verminderung der Alarmierungsschwelle: Die Bergsportlerinnen und Bergsportler rufen die Bergrettung früher als zuvor. Die Rettungsdienste und der Alpenverein sehen das aber nicht negativ, im Gegenteil: Viele schwerwiegende Unfälle werden dadurch vermutlich verhindert. Weitere Vorteile der großen Verbreitung der Mobiltelefone: Die zu Rettenden können leichter geortet werden und über ihren Zustand bzw. die Situation vor Ort liegen bessere Informationen vor.

Zu leichtsinnigem Verhalten sollte die Mitnahme eines Mobiltelefons allerdings nicht verleiten. Die wirksamsten Maßnahmen zur Vermeidung von Unfällen sind – unabhängig von der jeweiligen Bergsportdisziplin – die richtige Selbsteinschätzung, eine entsprechende Tourenauswahl und eine an den aktuellen Verhältnissen ausgerichtete Tourenplanung.

Notfälle in heißen Sommern
Der Klimawandel ist in den Alpen an vielen Faktoren ablesbar – und inzwischen eben auch an den Notfallzahlen. Deutlich sichtbar wird das an den heißen Sommern 2003 und 2015: In beiden Jahren kamen Notfällen wegen Dehydrierung und Erschöpfung dreimal so häufig vor wie sonst. Besonders warm waren in den Alpen übrigens auch die Jahre 2007, 2011 und 2014. Wegen der eher unstabilen Witterung fielen die Notfallzahlen in diesen Jahren aber nicht auffällig aus.

Blockierungen an Klettersteigen
Diese Bergsportdisziplin ist stark im Trend, dementsprechend gibt es auch immer mehr Unfälle und Notfälle. Auffallend beim Klettersteiggehen ist die große Zahl der Rettungen Unverletzter: Solche Notfälle machen die Hälfte aller Meldungen an Klettersteigen aus. Betroffen sind vor allem die Unerfahrenen, und zwar mehr als bei jeder anderen Bergsportdisziplin.

Hallenklettern: Einbindefehler sind die einzige Todesursache
Im Jahr 2015 sind 203 Unfälle in 61 Kletteranlagen gemeldet worden. Verglichen mit den vielen hunderttausend Kletterhallenbesuchern ist diese Zahl sehr niedrig. Statistisch gesehen müsste ein durchschnittlicher Kletterer, der einmal in der Woche für drei Stunden in die Halle zum Klettern geht, über 300 Jahre aktiv sein, bis ein Unfall passiert. Wie bereits in den Jahren zuvor hat sich gezeigt, dass das Verletzungsrisiko beim Bouldern deutlich höher ist als beim Seilklettern. Beim Bouldern passieren allerdings eher Unfälle mit leichteren Verletzungen an den Extremitäten. Beim Seilklettern ist dagegen das Risiko einer schweren Verletzung deutlich höher. Seit dem Jahr 2000 haben sich in Kletterhallen in Deutschland acht tödliche Unfälle ereignet. Alle acht Unfälle sind auf Einbindefehler zurückzuführen – also darauf, dass sich die Verunfallten falsch mit dem Sicherungsseil verbunden haben. Diese eindeutige Erkenntnis hat den DAV dazu veranlasst, seine Kampagne „Partnercheck“ zu intensivieren und ein neues Plakat herauszugeben. Es soll die Kletterinnen und Kletterer in möglichst vielen Kletterhallen daran erinnern, dass sich die Seilpartner vor dem Losklettern gegenseitig kontrollieren. Bei korrekter Durchführung des Partnerchecks können die allermeisten schweren Unfälle verhindert werden.

Sicherheit und Ausbildung beim DAV
Erfahrung, Können und Wissen sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Gefahren im Bergsport. Deshalb setzt der DAV in erster Linie auf Ausbildung, um die Sicherheit im Bergsport zu verbessern. Mehr als 7.500 ehrenamtliche Fachübungsleiter sind in den 355 Sektionen des DAV aktiv und geben das entsprechende Wissen an die DAV-Mitglieder weiter. Dabei profitieren sie von der Grundlagenarbeit der Sicherheitsforschung des DAV.

Datengrundlage der DAV-Bergunfallstatistik
In der DAV-Bergunfallstatistik werden ausschließlich die Unfälle von DAV-Mitgliedern erfasst – unabhängig davon, wo diese Unfälle passieren. Eingang in die Statistik finden Unfälle, die die Mitglieder an die Versicherung des DAV (Alpiner Sicherheits Service – ASS) melden, um beispielsweise Bergungskosten erstattet zu bekommen. Eine Ausnahme ist die neue Statistik zu den Unfällen beim Indoor-Klettern. Weil dort in aller Regel keine Bergekosten anfallen, liegen auch kaum Versicherungsmeldungen vor. Deshalb baut der DAV derzeit gemeinsam mit dem Kletterhallenverband KLEVER ein Netzwerk zur Meldung von Unfällen auf.