Deutsches Museum gibt Nazi-Raubkunst zurück

Deutsches Museum gibt Nazi-Raubkunst zurück
Foto: Deutsches Museum

Ein Gemälde von Hans Thoma gehört dank der Arbeit der Provenienzforschung des Museums jetzt wieder den rechtmäßigen Besitzerinnen

Das Gemälde „Meereserwecken“ des Malers Hans Thoma (1839 – 1924) ist seit 1995 in der Sammlung des Deutschen Museums. Jetzt haben die Provenienzforscher des Museums, Christine Bach und Bernhard Wörrle, herausgefunden: Das Bild stammt aus der Sammlung des jüdischen Fabrikanten Sigmund Waldes, der während der Nazi-Herrschaft emigrieren musste und dessen Sammlung die Nazis später versteigern ließen. Damit war klar, dass das Bild als NS-Raubkunst einzustufen ist. Deshalb hat das Deutsche Museum das Gemälde an die Erbinnen von Sigmund Waldes zurückgegeben. Auf die Spur der Herkunft des Gemäldes kamen die Forscher durch ein kleines Pfandsiegel auf der Rückseite des Gemäldes. 

„Ich bin froh, dass wir diesen Fall so schnell klären konnten“, sagt Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums. Denn Provenienzforschung ist oft eine kleinteilige Detektivarbeit, äußerst aufwendig und langwierig. Man will ja sichergehen, dass man bei Restitutionen die Kunstwerke auch an den rechtmäßigen Eigentümer zurückgibt. Häufig geben Museen ihre Gemälde auch nicht freiwillig wieder heraus. Oft gibt es Anfragen von Anwälten der Erben der ursprünglichen Besitzer – und dann erst läuft die Untersuchung der Kunstwerke an, die sich oft über Jahre hinziehen kann.

In diesem Fall ist das anders: Die Herkunft des Gemäldes wurde im Rahmen eines vom Deutschen Museum gestarteten Provenienzforschungsprojekts entdeckt, bei dem seit einem Jahr insbesondere auch die im Besitz des Museums befindlichen Kunstobjekte systematisch unter die Lupe genommen werden. Man muss dazu wissen, dass das Deutsche Museum neben seiner umfangreichen technischen und naturwissenschaftlichen Sammlung auch über eine Gemäldesammlung verfügt, die neben Porträts von Forschern und Erfindern auch Kunstgemälde umfasst. Diese Gemälde waren häufig für das Museum eher ein „Beifang“. Nach dem Muster: Jemand vermacht dem Deutschen Museum seinen Nachlass, und wenn dann auch ein paar Ölgemälde dabei sind, nimmt man die halt auch.

Auch das Gemälde „Meereserwecken“ oder „Meeresjungfrau mit Sonne“ von Hans Thoma war ein solcher Beifang. Es kam 1995 mit dem großen Nachlass des Pforzheimer Industriellen Max Bühler (1887 – 1978) in die Sammlung des Deutschen Museums.

Im Fall der Meerjungfrau war ein kleines Pfandsiegel des Amtsgerichts Dresden auf der Rückseite des Bildes der Auslöser für die Recherchen der Provenienzforscher des Deutschen Museums. „Die Pfändung hat das Bild für uns zu einem Verdachtsfall gemacht, den wir genauer überprüfen wollten. Auch der Form und Schrift nach sah das Siegel so aus, als könne es aus der Zeit um 1945 stammen“, sagt Christine Bach. Ein Abgleich mit der Internet-Datenbank „Lost Art“, in der Nazi-Raubkunst verzeichnet ist, verstärkte den Verdacht: Hier findet sich ein Gemälde von Hans Thoma mit dem Titel „Meereserwecken/Meeresjungfrau mit Sonne“, das von den Erbinnen von Sigmund Waldes gesucht wird. Christine Bach erzählt: „Für mich war es einer der ersten Fälle, mit denen ich mich auseinandergesetzt habe, nachdem ich vor gut einem Jahr als Provenienzforscherin im Deutschen Museum angefangen habe.“ Sie begann zu recherchieren. 

Das Gemälde war unter den Nazis 1939 erst gepfändet und später beschlagnahmt worden. Es gehörte dem jüdischen Fabrikanten Sigmund Waldes, der eine große Kunstsammlung besaß. Waldes musste am 4. September 1938 emigrieren – er floh über Paris und London nach New York und ließ sich dort nieder. Sein Eigentum in Deutschland, das er nicht hatte mitnehmen können, wurde von den Nationalsozialisten „sichergestellt“. 1941 musste Waldes unter Druck einer „Vereinbarung“ zustimmen, durch die dieses Vermögen an das Deutsche Reich fiel. Die Kunstgegenstände wurden dann im Auftrag des Reichswirtschaftsministeriums auf dem Kunstmarkt verkauft. „Wo und wann genau Herr Bühler das Gemälde erworben hat, haben wir leider nicht herausfinden können“, sagt Christine Bach.

Bei einem früheren Provenienzforschungsprojekt zur Kunstsammlung von Sigmund Waldes stellte sich bereits heraus, dass Teile der Waldes-Sammlung 1943 im Auftrag des Reichswirtschaftsministeriums beim Berliner Auktionshaus Hans W. Lange versteigert wurden. Zu der Versteigerung gibt es einen Auktionskatalog, der im Internet zu finden ist. Darin ist auch eine Abbildung des Gemäldes „Meereserwecken/Meeresjungfrau mit Sonne“ – es ist eindeutig das Bild, das das Deutsche Museum 1995 mit dem Bühler-Nachlass übernommen hat. Alles geklärt also, Fall gelöst?

Nicht ganz. Denn da gab es ein Detail, das überhaupt nicht zu den Unterlagen passte: Während das gesuchte Bild auf eine Metallplatte gemalt worden war, war in der Sammlungsdatenbank des Deutschen Museums als Bildträger eine Sperrholzplatte angegeben. Und weil Thoma mehrere Versionen des Motivs „Meereserwachen“ gemalt hatte, nahm das Deutsche Museum zunächst an, dass es sich doch um eine andere Variante des Gemäldes handelte. Doch dann nahm Bernhard Wörrle einen Restaurierungsbericht aus dem Jahr 1996 noch einmal in die Hand. Und daraus ging hervor: Das Bild war wirklich auf Metall gemalt, die Sperrholzplatte auf der Rückseite diente nur als Abdeckung. Christine Bach: „Ohne diesen Restaurierungsbericht hätten wir nicht erkannt, dass es sich um das gesuchte Gemälde handelt – gottseidank ist er aufbewahrt worden.“ Jetzt war klar: Das Bild ist das gesuchte Gemälde. Bach und Wörrle setzten sich mit Lothar Fremy, dem Vertreter der Erbinnen von Waldes, in Verbindung. Auf Wunsch der beiden Enkelinnen, die in den USA leben, findet keine persönliche Übergabe statt – das Gemälde wurde stattdessen an Fremy übergeben. „Insgesamt ist die Rückgabe vorbildlich gelaufen“, sagt Generaldirektor Heckl.

Und Lothar Fremy erklärt: „Vom Deutschen Museum sind große Anstrengungen unternommen worden, zusammen mit der Erbengemeinschaft nach Sigmund Waldes eine gerechte Lösung hinsichtlich dieses Gemäldes von Hans Thoma zu finden, das dem ehemaligen jüdischen Eigentümer verfolgungsbedingt von den Nazis entzogen wurde. Diese Handlungsweise des Museums sollte nicht als selbstverständlich erachtet werden, und das Museum verdient große Anerkennung hierfür. Die Waldes-Erben sind dem Museum in hohem Maße dankbar für die verantwortungsvolle Art und Weise, in der dieses sich mit diesem Fall proaktiv auseinandergesetzt hat. Es bleibt zu hoffen, dass andere Museen und Einrichtungen sich ebenfalls in gleicher Weise ihrer historischen Verantwortung stellen.“

Über den Wert des Gemäldes kann man übrigens nur spekulieren. Vergleichbare Werke von Hans Thoma haben es bei Auktionen auf Erlöse von 10.000 bis 30.000 Euro gebracht.