Energiebündel Melanie Dekker aus Kanada im Interview

Seit 10 Jahren tourt die kanadische Singer-Songwriterin Melanie Dekker mit ihren Akustik-Konzerten durch die Welt – sie spielt auf Festivals, Wohltätigkeitsveranstaltungen und begeistert mittlerweile nicht nur im heimischen Vancouver die Musikfans. Am Dienstag, den 10.03.2015, spielte sie in der Kultur-Etage Messestadt München-Riem und verzauberte das Publikum mit ihrer Stimme.

Mal ganz sanft und schmusig, dann wieder mit einer rockig-rotzigen Attitüde meistert Melanie Dekker ihr Akustik-Konzert mit Bravour. Begleitet von zwei Musikern gibt sie dabei sowohl ältere Stücke als auch neue Songs ihrer CD „Lekker, eh“ zum Besten. Natürlich waren wir neugierig auf das Energiebündel aus Kanada, das jährlich über 100 Konzerte spielt. Im Interview hat sie uns unsere Fragen zu ihrer Musik, den unzähligen Konzerten, ihrem Engagement für Charity-Projekte und ihr Songwriting mit Sean Penn beantwortet.

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Du tourst viel durch Europa – ist der europäische Markt besonders reizvoll für Dich? Und warum?

Ja, ist er auf jeden Fall. Meine Familie stammt aus Holland – meine Eltern sind beide in Amsterdam geboren. Meine Cousins und Cousinen sind hier… Der eigentliche Reiz an Europa war daher, dass ich bei meiner Familie immer einen Stopp einlegen und sie besuchen kann. Als ich im Jahr 2003 zum ersten Mal nach Deutschland kam, war es eigentlich nur ein kleines Experiment. Ich habe angefangen, in Irish Pubs zu spielen – denn da lieben die Leute Musik. Ich kenne Hunderte Cover-Songs und hatte damals noch nicht wirklich angefangen, meine eigene Musik zu promoten. Der Markt fühlte sich für mich super an: denn einerseits ist es natürlich aufregend, irgendwohin zu reisen – und andererseits habe im Zuge dessen auch schnell gemerkt, dass es hier in Europa eine aufrichtigere und tiefere Wertschätzung für Musik gibt. Was ich damit meine: wenn du beispielsweise in Nordamerika – vielleicht mit einigen Ausnahmen – in Irish Pubs spielst und fünf Euro oder fünf Dollar Eintritt verlangst, dann sind viele Leute bereits dadurch an der Tür abgeschreckt. In Europa hingegen sagen die Leute: „Oh! Live-Musik!! Nur fünf Euro Eintritt?!?! Das ist ja fantastisch!“ Das fühlt sich natürlich einfach toll an! Es ist fast so, als hättest Du einen kleinen, jungen Hund, der Dich begeistert an der Türe begrüßt: „Oh ja, du bist da, das ist ja toll!!!“

Viele jammern und sagen, dass der Markt für Live-Musik hier in Europa viel schlechter sei als in Amerika beispielsweise…

Ich denke, das hängt von der Art der Musik ab, die Du spielst. Ich kann natürlich nur aus meiner Erfahrung heraus und für meine Art der Musik sprechen. Klar haben wir in Kanada einen guten Markt und viele berühmte Leute, die ihren Weg gemacht haben – und auch amerikanische Musiker finden immer einen Ort, an dem sie spielen können. Vielleicht muss ich einfach noch härter arbeiten, um dort auch mehr Wertschätzung zu erfahren… (lacht).
Und einen deutlichen Unterschied bemerkt man sofort: Du musst in Kanada auf jeden Fall viel weitere Wege zurücklegen (lacht).

Du bist insbesondere als Live-Künstlerin bekannt. Was macht das Live-Spielen für Dich so faszinierend?

Ich mag Deine Frage – da denke ich an zwei Dinge: auf der einen Seite ist die Live-Performance meine absolute Leidenschaft. Ich denke, dass ich als Live-Performer bekannt bin, weil ich einfach wirklich viel live spiele. Und ich spiele live, weil ich es liebe. Auch wenn ich weiß, dass zwar die Songs an sich immer dieselben bleiben, so kann ich sie aber doch nicht jedes Mal exakt gleich spielen. Auch die Art, wie ich an die Musik herangehe, interessiert die Leute. Manchmal weiß ich gar nicht, von welchem Song sie reden, wenn sie mich fragen, wie ich jetzt diesen oder jenen Song interpretiert oder gespielt habe.

Ich habe gelesen, dass Du über 100 Konzerte im Jahr spielst – wie schafft man das? Und ist bei diesem Pensum noch Platz für Privatleben?

Anfangs waren es nicht so viele – das kam dann erst ab dem Jahr 2009. Ich selbst habe das nie nachgezählt, aber irgendjemand hat mal mitgerechnet und gesagt „Oh, die spielt ja 100 Konzerte im Jahr“. Wie ich das mache? Ich spiele die Konzerte unmittelbar nacheinander, fünf oder sechs Konzerte pro Woche und innerhalb eines bestimmten Einzugskreises. Wenn Du Rockmusik machst, dann ist es besser, am Wochenende zu spielen; dementsprechend schwieriger ist es aber auch, so eine große Anzahl an Konzerten überhaupt zu erreichen, da Du ja vorwiegend freitags und samstags spielst. Wenn Du aber akustische Musik machst, dann ist es auch cool, mal an einem Sonntag zu spielen … oder an einem Montagabend. Noch dazu haben die Veranstaltungsorte auch immer spezielle Abende für ihr jeweiliges Programm.

Und klar hat man noch Zeit für ein Privatleben und für seine Privatsphäre. Aber gegen Ende der Tour sehne ich mich dann schon immer mehr danach. Ich habe nicht das Gefühl, dass mein Privatleben sehr leidet. All diese Entwicklungen kommen halt mit dem Job. Wenn Du im Büro arbeitest, dann hast Du den ganzen Tag 30, 40 Leute um Dich – da hast Du auch keine Privatsphäre.

Mein Privatleben ist gut und ausgeglichen – das meiste davon findet in Vancouver statt; aber seit 2009 habe ich auch viele gute Freundschaften in Dänemark und Deutschland geknüpft. Und ich freue mich dann auch immer sehr drauf, meine Leute hier in Europa zu sehen. Viele von ihnen habe ich sozusagen als „Fans“ kennengelernt – aber man bekommt schnell ein Gefühl dafür, ob man eine gute Verbindung zu jemandem hat: die Stimmlage, die Augen. Schau, der Keyboarder, mit dem ich jetzt spiele, der kam damals als „Fan“ zu etwa 50 Konzerten – und so haben wir uns irgendwann angefreundet, weil er einfach immer da war. Er hat dann irgendwann auch verraten, dass er Keyboarder ist. Ich wollte, dass er auf die Bühne kommt und mitspielt, aber das wollte er nicht, da war er zu bescheiden dafür. Ich habe wirklich gebettelt, dass er wenigstens einen Song mit uns spielt, und ihn gefragt, ob er denn überhaupt einen der Songs spielen kann. Und dann meinte er: „Ich kann alle spielen!“ Und jetzt ist er in meiner Band! So kann es gehen: vom Fan zu einem guten Freund bis hin zum Bandmitglied.

Du hast viele Festivals gespielt – aber auch Dein Look und Dein Auftreten geben Dir eine gewisse Hippie-Attitüde. Was magst Du am Hippie-Lifestyle denn besonders?

Oh, das mag ich, danke! Wahrscheinlich kommt es einfach daher: ein Mädel mit einer akustischen Gitarre reist um die Welt. Ich glaube, selbst mein Vater fragt sich immer noch, ob ich nicht doch irgendwann einen „richtigen“ Job wahrnehmen werde. Und ich denke, dass auch mein Wohnort viel ausmacht. Wir leben direkt am Meer, es wird sehr viel für einen gesunden Lebenswandel geworben, vieles ist Bio. Und dann setze ich noch eins oben drauf: ich reise mit vielen Musikern, die Veganer sind. Das alles hat natürlich schon einen gewissen Hippie-Flair. Dazu kommt noch: Marihuana ist in Vancouver/Kanada legal – was nicht bedeutet, dass viel mehr Leute es auch rauchen, aber die Gesetze scheinen ein wenig entspannter zu sein. Ich bin in den 70er Jahren geboren, meine Eltern haben in den 60er Jahren geheiratet … das mag auch noch etwas mit meiner Hippie-Wirkung zu tun haben.

Wie schreibst Du Deine Lieder? Woher kommt Deine Inspiration?

Ich mag diese Frage, weil es darauf immer wieder neue Antworten gibt. Meine zwei letzten Stücke habe ich geschrieben, weil ich auf einem Wohltätigkeitskonzert für Brustkrebs in Vancouver gespielt habe; da bin ich während meiner Europa-Tour extra hingeflogen, um dort teilzunehmen – ich habe angeboten, ein paar Songs für dieses Event zu schreiben. Ich habe mir also überlegt, was ich rüberbringen möchte, wenn ich vor 400 Leuten spiele und wenn tatsächlich jedes meiner Worte auch wirklich gehört wird. Was will ich also sagen? So etwas wie eine kleine, vertonte Rede vielleicht?! Grundsätzlich will ich solche Stücke schreiben, die mir auch Spaß machen, sie zu spielen – Songs, die ich spielen WILL. Generell kommt meine Inspiration aus Gesprächen. Mit Musik kannst Du die unterschiedlichsten Themen sozusagen „verschiedenfarbig“ gestalten.

Ich fand es interessant, dass Du Dich grundsätzlich viel für Charity-Projekte engagierst – danke dafür. Die Einnahmen Deines Songs „Fall in/Wounded Soldier“ beispielsweise gehen an verwundete Soldaten. Wie kommt es, dass Du Dich insbesondere für dieses Thema einsetzt – gibt es da eine persönliche Verbindung dazu?

JETZT gibt es da definitiv eine Verbindung dazu – eben wegen dieser Projekte. Die Verbindung dazu entstand, weil ich mal wieder einen Song für ein Event geschrieben habe – und dann hat sich dieser Song irgendwie verselbstständigt. Ich bin aufgrund dieses Songs sogar nach Afghanistan gereist; und mein Label brachte dann den Vorschlag vor, einen bestimmten Geldbetrag je verkaufter CD zu spenden. Die Entscheidung dazu kam also vom Plattenlabel.

Es gibt da diese Kampagne, die Familien in finanzieller Not hilft; Menschen, die sich nicht besonders gut fühlen, wenn sie nach Hause zurückkehren, und besonders Menschen, die womöglich Teile ihres Körpers oder sogar ihres Verstandes verloren haben. Für diese Leute ist es besonders schwer, weil sie nicht mehr arbeiten gehen können. Die meisten dieser Leute gehen sogar zurück in den Krieg. Man fragt sich: Warum? Sie sagen, dass es sich gut anfühlt, für etwas zu kämpfen, von etwas bewegt und ergriffen zu sein; sie fühlen sich nicht wohl damit, daheim zu sitzen, Däumchen zu drehen und darüber nachzudenken, wie unbedeutend wir alle eigentlich sind … denn letztlich sind wir das. Für sie fühlt es sich gut an, etwas Bedeutungsvolles zu machen. Im Nachgang war all das also viel bewegender für mich, als zu der Zeit, als ich den Song geschrieben habe. Ich habe sehr viel gelernt.

Ich habe gelesen, dass Du gemeinsam mit Sean Penn einen Song geschrieben hast. Wie kam es denn dazu?

Lustig, dass Deine Fragen genauso sortiert sind, wie es der Reihenfolge nach in meinem Leben abgelaufen ist! Nachdem ich den Song „Wounded Soldier“ geschrieben hatte, habe ich drei oder vier Tage in New York verbracht. Sean Penn saß in einer Bar neben mir. Und wir hatten irgendwie eine Verbindung zueinander. Er ist politisch sehr engagiert und ihm hat meine Geschichte gefallen. Ich weiß es natürlich nicht genau, aber ich denke, es hat ihm gefallen, dass ich eine ganze Weile neben ihm gesessen bin und wie verrückt gegrübelt habe, woher ich diesen Typen kenne. Und dann habe ich den wohl kitschigsten Satz, den man jemals zu jemand anderem sagen kann, zu ihm gesagt: (lacht laut und hält sich die Hände vor ihr Gesicht) „Du kommst mir so bekannt vor. Habe ich Dich schon mal irgendwo getroffen?“ Und willst Du wissen, was er geantwortet hat? „Du kommst mir auch bekannt vor. Hab ich DICH denn schon mal getroffen?“ Da bin ich dann direkt ein wenig schüchtern geworden und habe geantwortet: „Nein, sicher nicht! Ich bin nicht aus New York, ich bin hier nur für ein paar Tage“. Und ja, ich war dann durchaus überrascht, als ich erfahren habe, wer er ist. Ab diesem Moment hatten wir irgendwie eine Verbindung – und ja, wir haben dann an diesem Abend noch einen gemeinsamen Song geschrieben …

Direkt an diesem Abend???

Ja! Er schlug vor, einen Song für einen Freund zu schreiben – also hat er den Songtext geschrieben und ich die Musik. Auf einer Serviette.

Du bist eine richtige „Do it yourself“-Künstlerin. Deinen Erfolg hast Du Dir selbst zuzuschreiben, und alles aus eigener Kraft erreicht. Welche Tipps hast Du für andere aufstrebende Künstler?

Die Plattenindustrie hat sich wahnsinnig verändert. Ich weiß, dass es so aussieht, als hätte ich alles ganz alleine geschafft, wenn man sich meine Webseite etc. ansieht, aber ich hatte auf meinem ganzen Weg immer Hilfe und Unterstützung. Jeder, der mich gefragt hat, ob ich ein kleines Konzert bei ihm daheim in seinem Haus spielen will, hat mir geholfen. Mein Banjo habe ich von einem Freund zum Geburtstag geschenkt bekommen – später wurde es eines meiner Lieblingsinstrumente. Früher haben mich auch viele Leute auf ihrer Couch übernachten lassen – heute frage ich aber auch nicht mehr nach der Couch. Aber: die Leute helfen mir immer noch. Ich habe mich in der ganzen Zeit niemals wirklich alleine gefühlt.

Mein Tipp für aufstrebende Künstler: gib alles! Und wenn es etwas gibt, von dem Du glaubst, nicht gut darin zu sein: übe es! Ich hab es ohne youtube, ohne iTunes und mehr oder weniger auch ohne das Internet geschafft … wenn Du denkst, dass Du etwas nicht so besonders gut kannst und wenn Dich das nervt, dann frage Dich: ist es sehr wichtig für Dich, darin gut zu sein? Du kannst nicht für jeden alles sein. An einem bestimmten Abend habe ich sehr viel gelernt: der Konzertraum war viel zu hell erleuchtet, und so konnte ich von der Bühne sehen, dass Einige während des Konzerts gegangen sind. Und in meinem Kopf kreisten nur noch diese Gedanken: „Warum sind die gegangen??? Mögen die meine Songs nicht? Mögen die mich nicht? Mögen die mein Shirt nicht?? Oder sind sie vielleicht krank?“ Möglicherweise ist das eine Frauen-Problem, und ein Mann an meiner Stelle hätte sich gedacht: „Ja und, dann sind halt zwei Leute gegangen…“. Ich dachte, jeder muss mich lieben. Aber das geht nicht. Jetzt denke ich mir: und selbst, wenn die Hälfte des Publikums geht, weil sie das, was ich mache, nicht mögen, dann lass‘ sie gehen. Dann ist das einfach nicht ihre Musik, dann ist das einfach nicht ihre Show. Du musst diese Gedanken einfach loslassen, denn Du musst akzeptieren, dass nicht jeder mögen wird, was Du tust. Wenn Du versuchst, es allen recht zu machen, dann wird es DIR SELBST wahrscheinlich keinen Spaß mehr machen.

Wer Melanie noch live erleben will, findet auf ihrer Homepage alle weiteren Tour-Daten!

Interview S. Chmiel