München boomt, und damit wächst der Mobilitätsbedarf in der Stadt. 413 Millionen Fahrgäste haben vergangenes Jahr die Münchner U-Bahn genutzt, 214 Millionen die Busse der MVG – erneut ein Rekord. Die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) braucht daher viele neue Fahrerinnen und Fahrer für ihre Busse und Bahnen. Pro Jahr werden etwa 300 Kolleginnen und Kollegen neu im Fahrdienst der MVG eingestellt. Der Bedarf ist und bleibt riesig. Gleichzeitig ist es eine gesellschaftliche Aufgabe, Flüchtlinge mit gesichertem Aufenthaltsstatus und Menschen mit Migrationshintergrund in Beschäftigung zu bringen und ihnen ein gesichertes Einkommen zu ermöglichen. Die Stadtwerke München (SWM), die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), das Jobcenter München und die Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz) haben sich daher bereits 2017 zusammengetan, um Flüchtlinge und Migranten zu Fahrerinnen und Fahrern für Bus und U-Bahn auszubilden. Das klare Ziel für die Teilnehmer ist eine Übernahme in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis bei der MVG. Die ersten zwei Projektjahre belegen: Das Konzept geht auf! 15 Busfahrer und 12 U-Bahnfahrer sind bis heute Teil des großen MVG-Teams geworden und bringen ihre Fahrgäste im Münchner Stadtgebiet ans Ziel.
Bayerns Innen- und Integrationsminister Joachim Herrmann: „Wir stehen bei der Integration von Geflüchteten in Arbeit, aber auch von Ausländern ohne Fluchthintergrund in Bayern hervorragend da – gerade auch im Vergleich zu den anderen Ländern in Deutschland. Innerhalb eines Jahres, von Mai 2018 bis Mai 2019, ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern um 26 Prozent gestiegen – von rund 43.400 auf 54.900. Das zeigt ganz klar: Die Erwerbsintegration der Geflüchteten gelingt bei uns vorbildlich. Damit dies so bleibt, möchte ich erfolgreiche Beispiele bekannt machen und zur Nachahmung empfehlen.“
Geboren wurde das Integrationsprojekt bei den SWM und der MVG im Zuge der wachsenden Zahl ankommender Flüchtlinge in München. Das Jobcenter hat seine Erfahrung eingebracht: Eine Kombination aus Spracherwerb, Qualifizierung und beruflicher Tätigkeit hat sich als besonders erfolgreich erwiesen. Deshalb haben die Partner das Projekt gemeinsam in diese Richtung entwickelt. Der Fahrdienst bei der MVG bot sich besonders für das Projekt an, denn die MVG braucht viele Fahrerinnen und Fahrer. Interessant für Flüchtlinge und Migranten ist: Die Qualifizierung im Fahrerberuf ist mit drei bis vier Monaten kurz und voll bezahlt. Dies ist für Bewerber wichtig, die eine Familie versorgen oder für ihre eigenen Lebenshaltungskosten aufkommen müssen. Während zu Beginn noch umfangreiche Akquise und Bewerbungsmaßnahmen nötig waren, um auf eine hinreichende Kursgröße zu kommen, ist der Bewerberandrang mittlerweile so groß, dass die bfz in Absprache mit der MVG zusätzliche Kurse planen können. Die Sprachkurse werden komplett vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert. Anderweitige Kosten im Zusammenhang der Bewerbung und Einstellung, wie z.B. die ärztliche Untersuchung und das Führungszeugnis übernimmt das Jobcenter. Die Ausbildung sowie der Führerschein werden von der MVG bezahlt.
Gute Sprachkenntnisse sind das A und O
An erster Stelle für die angehenden Fahrer stehen gute Sprachkenntnisse. Ob in Gesprächen mit Fahrgästen, per Funk mit der Leitstelle oder mit Kollegen und Vorgesetzen: Die Flüchtlinge und Migranten müssen solide Deutsch sprechen. Deswegen geht der Qualifizierung auch ein umfassender Sprachkurs beim bfz München voran. Insbesondere technisches Fachvokabular rund um die Fahrzeuge, wie z.B. Bremskreislauf oder Federspeicher, wird in den Deutschkursen vermittelt. Diesen Fachwortschatz benötigen sie später in der Praxis und auch schon während der Fahrausbildung. Denn sie absolvieren diese mit allen anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern in der regulären Fahrschule der MVG. Und auch bei der abschließenden Prüfung müssen die (fach-)sprachlichen Fähigkeiten nachgewiesen werden. Denn auch hier gibt es kein Sonderformat, die Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer machen dieselbe Prüfung wie die deutschen Muttersprachler.
Weil sich klar herausgestellt hat, dass der Erwerb der deutschen Sprache die größte Herausforderung für viele Teilnehmer ist, wurde das Konzept inzwischen erweitert: Seit Dezember 2018 wird ein zweistufiges Kursmodell praktiziert. In einer ersten Phase wird im Rahmen eines 400 Unterrichtseinheiten umfassenden Deutschkurses das Niveau B2 angestrebt. Bei Erreichen des Kursziels und Vorliegen der notwendigen gesundheitlichen und formalen Voraussetzungen schließt sich daran ein Fachsprachkurs an, der schon sehr ins technische Detail geht und weitere 300 Unterrichtseinheiten umfasst. Außerdem ist in diesen Kurs auch das Praktikum bei der MVG integriert. Bewerber, die bereits das Niveau B2 vorweisen können, haben die Möglichkeit direkt mit dem Fachsprachkurs einzusteigen.
Ralf Holtzwart, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit ergänzt: „Die Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist eine Gemeinschaftsleistung. Weder der Arbeitgeber noch die Geflüchteten selbst müssen die Hürden der beruflichen Integration alleine stemmen. Das zeigt dieses Kooperationsprojekt besonders deutlich. Je früher und strukturierter die Geflüchteten an den deutschen Arbeitsmarkt herangeführt werden, desto erfolgreicher ist die Integration. Unsere Fördermöglichkeiten sind sehr vielfältig. Die kommende Herausforderung bleibt, für die ausreichende Qualifikation der Geflüchteten zu sorgen, denn nur 14 Prozent von ihnen haben eine abgeschlossene Berufsausbildung.“
Auswahl und Qualifizierung
Die Akquise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer übernimmt das Jobcenter unterstützt
durch die bfz. Die endgültige Auswahl erfolgt dann im Rahmen von sogenannten Clearing-
Tagen im bfz München. Hier wird das Projekt ausführlich vorgestellt, Bewerberinnen und Bewerber sowie Unternehmensvertreter lernen sich kennen und es findet ein Spracheinstufungstest statt. Im Anschluss beginnt die Qualifizierung mit einem 12-wöchigen berufsbezogenen Deutschkurs. Dann startet eine wiederum 6-wöchige Praktikums- und Orientierungsphase, die aus einem Praktikum im Fahrdienst der MVG (2 bis 3 Tage pro Woche) und der Fortsetzung des Deutschkurses besteht. Bis zu 12 geeignete Bewerber werden anschließend – nach einer werkärztlichen Untersuchung – in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bei der MVG übernommen und bekommen einen der je sechs Plätze für die Ausbildung als Bus oder U-Bahnfahrer.
„Unser Integrationsprojekt bietet Flüchtlingen und Migranten eine Perspektive und hilft uns gleichzeitig im Münchner Arbeitsmarkt. Die Integration von Flüchtlingen ist ein sehr wichtiges Thema für uns. Sie funktioniert am besten über den Zugang zu Beschäftigung. Darum haben wir bereits 2016 mit einer so genannten Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme mit produktionsorientierten Ansatz jungen Flüchtlingen den Zugang zu Ausbildung ermöglicht und dies auch in den Jahren zuvor über unser Stadtwerkeprojekt getan. Mit diesem Integrationsprojekt schließen wir daran konsequent an“, so Beatrix Widmer, Leitung Bereichssteuerung Personal SWM/MVG. „Die MVG steht für Integration, von fast 1.500 Mitarbeitern kommt knapp die Hälfte aus einem anderen Land. Ich bin stolz, dass aus der Idee, die wir im Fahrdienst bereits 2015 geboren haben, inzwischen Realität geworden ist.“
„Seit Jahren unterstützt das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw) Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund bei der Integration in Ausbildung und Arbeit. Jährlich sind es derzeit rund 15.000 Geflüchtete sowie Migrantinnen und Migranten, die von unserer Tochtergesellschaft, den Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz), in unterschiedlichen Maßnahmen qualifiziert werden“, erklärt Prof. Günther G. Goth, Vorstandsvorsitzender des Bildungswerks der Bayerischen Wirtschaft (bbw). „Mit dem Kooperationsprojekt bieten wir motivierten Menschen der genannten Zielgruppen die Chance, Fahrerin bzw. Fahrer von Bussen und U-Bahnen in München zu werden. Die besondere Kombination aus Sprach- und Fachqualifizierung wirkt zielgerichtet dem Fachkräftemangel entgegen.“
Bisherige Erfolge
Im Juni 2017 startete die 1. Staffel des MVG-Projektes mit 15 Teilnehmern. Daraus gingen letztlich zwei Busfahrer und zwei U-Bahnfahrer hervor. Die 2. Staffel begann im Dezember 2017 mit 18 Teilnehmern, von denen heute zwei U-Bahnfahrer und vier Busfahrer für die MVG im Einsatz sind. Die 3. Staffel startete im Juni 2018. Von ursprünglich 20 Teilnehmern arbeiten heute drei Personen als U-Bahnfahrer und sechs als Busfahrer. In der vierten Staffel, die derzeit noch läuft, befinden sich drei Bus- und fünf U-Bahn-Anwärter bereits in der Probezeit bei der MVG. Die 5. Staffel startete im Juni 2019 mit 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.