Goethe-Medaille: Preisträgerinnen und Preisträger 2020 geehrt

Goethe-Medaille: Preisträgerinnen und Preisträger 2020 geehrt
Foto: © Brian Otieno

Heute, an Goethes 271. Geburtstag, wurden die Preisträger*innen der Goethe-Medaille 2020 geehrt: Das offizielle Ehrenzeichen der Bundesrepublik Deutschland erhalten die bolivianische Künstlerin und erste indigene Museumsdirektorin Elvira Espejo Ayca, der britische Schriftsteller und leidenschaftliche Pro-Europäer Ian McEwan sowie die südafrikanische Schriftstellerin, Verlegerin und Kuratorin Zukiswa Wanner. Mit einem digitalen Festakt des Goethe-Instituts in Kooperation mit der Deutschen Welle wurden ihre herausragenden künstlerischen Arbeiten ausgezeichnet sowie ihr zivilgesellschaftliches Engagement gegen politische Restriktionen und Verengungen des Blicks. „Widerspruch ertragen – der Ertrag des Widerspruchs“, das ist das Thema der diesjährigen Verleihung der Goethe-Medaille und vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie von bizarrer Aktualität.

Wenn Gesellschaften scheinbar zum Stillstand gekommen sind, ist der internationale kulturelle Dialog wichtiger denn je, so Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts: „In diesem Jahr ehren wir drei außergewöhnliche Preisträgerinnen und Preisträger aus Afrika, Lateinamerika und Europa, die für die Freiheit des Dialogs stehen. So unterschiedlich diese in Bezug auf Kunst, Geografie und persönliche Erfahrungen sind, so ähnlich sind sie sich in ihrem Verständnis und ihrer Fähigkeit, Vorurteile und Stereotypen abzubauen. Sie nutzen offene Debatten, um der Spaltung von Gesellschaften entgegenzuwirken und die Stimmenvielfalt der Kulturen zu verteidigen gegen Uniformität und Zensur. Derzeit beobachten wir umfassende Einschränkungen des freien Austauschs von Ideen und Informationen sowie die Errichtung neuer mentaler Mauern. Kritische und einfallsreiche Stimmen der Kunst können uns davon befreien, denn sie unterliegen keinen Hierarchien und äußeren Einschränkungen. Kunst muss frei sein!“ Die diesjährigen Preisträger*innen stehen beispielhaft für einen solchen bewegten, freiheitlichen internationalen Austausch wie beim Festakt eindrücklich gezeigt wurde:

Elvira Espejo Ayca überführt wie keine andere die reiche indigene Tradition und Kunst Boliviens in die Gegenwart und macht sie einer neuen jungen Generation Lateinamerikas wie auch Europas zugänglich. Laudatorin Barbara Göbel hob hervor: „Elvira Espejo Ayca verbindet in ihrer künstlerischen Arbeit mehrsprachige Dichtung, Musik, bildende Kunst, Webkunst und Performance. Sie will historisch gewachsene Grenzen und Entkopplungen überwinden, Offenheit und Unvollkommenheit hervorhebend. Wie auch die Weberinnen des Ayllu Qaqachaka konzentriert sie sich dabei nicht nur auf die Bedeutung von Objekten und Artefakten, sondern auf deren Wirksamkeit für die Handlungen der mit ihnen interagierenden Personen. In diesem Sinne leistet sie einen Beitrag zu einem erweiterten Kunstbegriff, der es erlaubt, sogenannte traditionelle indigene Kunst auf symmetrischere Weise mit zeitgenössischer Kunst in Verbindung zu setzen.“ In der ihr eigenen poetischen Art reagierte Elvira Espejo Ayca: „Ich verließ das Haus, in dem ich geboren wurde, ich verließ das Dorf, das ich kenne, um eine Welt zu sehen, die ich zuvor nicht gesehen hatte. Gedanken kommen und gehen wie Wolken am Himmel, die Gefühle des Lebens sind mein Anker. Ich höre diesen Gefühlen zu und bin voller Freude und Glück, denn ich bin dem Goethe-Institut sehr dankbar für diese Auszeichnung, sie ist ein Zeichen menschlicher Wertschätzung.“

Ian McEwan ist einer der bedeutendsten Schriftsteller Europas. Sein literarisches Schaffen ist vom Wesen des Widerspruchs und der kritischen, tiefenpsychologischen Reflexion gesamtgesellschaftlicher Phänomene durchdrungen. Immer wieder erhebt er seine Stimme gegen den Brexit. Franziska Augstein unterstrich in ihrer Laudatio: „Seine Romane bieten den Leserinnen und Lesern Einblicke in die Abgründe des menschlichen Denkens und Empfindens. Wenn man ohne Happy End auskommt, sind seine Bücher auf mehr als philosophische Weise ungemein lustig. Lustig ist auch der Satz, den er einmal einem Journalisten anvertraut hat: Als Schriftsteller komme man um Begegnungen mit dem realen Leben nicht herum. In seinem realen Leben ist Ian McEwan ein überzeugter Europäer.“ Ian McEwan betonte: „Ich bin begeistert, die Goethe-Medaille zu bekommen. Wie Sie ja wissen hat unsere Regierung entschieden, uns aus der EU herauszunehmen, daher sind die kulturellen Verbindungen besonders wichtig. Ich werde nicht aufhören, nach Deutschland zu reisen und meine Leser zu treffen, und ich werde nicht aufhören, ein europäischer Bürger zu sein. Die Goethe-Medaille wird dieses Band fester schnüren. Der andere wichtige Punkt ist, dass ich immer eine große Bewunderung für Goethe selbst empfunden habe. Er war nicht nur ein bedeutender Poet und wunderbarer Romancier, sondern auch ein Mann von unstillbarer Neugier. Er ist einer der großen Intellektuellen der Geschichte. Eine Medaille zu erhalten, die Goethes Namen trägt, ist eine besondere Ehre weil sie eine Art von Verbindung mit einem solchen Genie herstellt.“

Zukiswa Wanner setzt sich ein für die Stimmen der Schriftstellerinnen in Afrika und leistet wertvolle kulturelle Vernetzungsarbeit zwischen Afrika und Europa, die sie zum Vorbild einer ganzen Generation in ihrem Land werden lässt. Laudatorin Zoë Beck führte aus: „Zukiswa Wanner sorgt mit dafür, dass Geschichten eines ganzen Kontinents gehört werden. Sie trägt sie in die Welt, über die Grenzen. Sie befördert, dass der literarische Kanon der westlichen Schulen und Universitäten nicht mehr nur vorwiegend weiß und männlich ist. Und sie stärkt das Bewusstsein dafür, dass auch Sprache ein Privileg ist. Über tausend Sprachen des Kontinents haben literarisch zu wenig Bedeutung. Geschichten werden nicht gehört, wenn sie nicht übersetzt sind, sowohl aus den Sprachen als auch in diese Sprachen.“ Zukiswa Wanner erwiderte: „In einer Welt, in der die Arbeit von Frauen und insbesondere die Arbeit von schwarzen Frauen in den Künsten nicht selten ignoriert wird, fühle ich mich außerordentlich geehrt, diese Anerkennung der Goethe-Medaille erhalten zu haben. Es ist eine Auszeichnung nicht nur für mich, sondern für jeden von uns auf den sieben Kontinenten – für diejenigen, die vor mir und auch in meinem Leben die Brücken gebaut haben, die ich beschreite, sowie für diejenigen, die noch folgen werden. Ihre Arbeit. Ihr Narrativ. Sie sind wichtig. Enkosi, tatenda, asante, oshe, danke!“

Bereichert wurde der Festakt zur Goethe-Medaille 2020 durch besondere musikalische Darbietungen von Studierenden und Lehrenden der Musikhochschule Franz Liszt Weimar aus Mosambik, Brasilien, Australien und Bolivien, unter Leitung von Tiago de Oliveira Pinto: Aufgenommen in der Neuen Weimarhalle spielten sie Kompositionen, die sie speziell für die Preisträger*innen ausgesucht und geschaffen haben. 

Der Festakt zur Goethe-Medaille 2020 ist weiterhin verfügbar auf der Website des Goethe-Instituts unter www.goethe.de/goethe-medaille und auf youtube/goetheinstitut. In englischer Sprache auf youtube/DWBooks. 3sat Kulturzeit stellt die Preisträger*innen heute um 19.20 Uhr in der Sendung Kulturzeit vor sowie unter www.3sat.de/kulturzeit. Das DW-TV-Magazin Kultur.21 präsentiert die Preisträger*innen darüber hinaus in einer Spezialsendung am 29.8. sowie in seinen englischen, spanischen und arabischen Ausgaben.