Kein Zurück mehr: Pumpspeicherkraftwerk bei Kühtai wird gebaut

Kein Zurück mehr: Pumpspeicherkraftwerk bei Kühtai wird gebaut
Foto: © Simon Schöpf

Baustelle im Hochgebirge: Bei Kühtai geht ein komplettes alpines Hochtal verloren, sechs alpine Wildbäche werden für immer abgeleitet. In der allerletzten Instanz hat der Verwaltungsgerichtshof in Wien die Revision der Alpenvereine gegen den Baubescheid der „Erweiterung der Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz“ abgewiesen. Ein entsprechendes Schreiben ist beim Deutschen Alpenverein am 22. Juni eingegangen. Nach mehr als neun Jahren Verfahrenszeit sind alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft und der Bau des neuen Pumpspeicherkraftwerks im Längental ist nicht mehr aufzuhalten. „Selbstverständlich akzeptieren wir diese höchstrichterliche Entscheidung,“ sagt DAV-Vizepräsident Manfred Sailer. „Im Hinblick auf ein Gelingen der Energiewende halten wir diese Entscheidung trotzdem für falsch und appellieren an alle Verantwortlichen, bei zukünftigen Verfahren die Relation von Naturzerstörung und energetischem Nutzen im Auge zu haben.“

Die Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG) hat im Mai dieses Jahrs mit dem Bau des zweiten Speichers für ein neues Pumpspeicherkraftwerk begonnen. Damit wird nun Realität, wogegen viele Naturschutzverbände, die Alpenvereine und auch die Gemeinde Neustift im Stubaital jahrelang gekämpft haben. Im bislang unerschlossenen Längental in den Stubaier Alpen rollen aktuell Bagger und Baufahrzeuge an. Sie sollen das Tal für die Flutung vorbereiten. Am Taleingang soll eine mehr als 500 Meter lange und 100 Meter hohe Staumauer erbaut werden, dahinter soll ein Pumpspeichersee mit einem Volumen von 31 Mio m³ entstehen. Verteilt über die gesamten Stubaier Alpen werden sechs Wasserfassungen bis zu 80 Prozent des Abflusses von Winnebach, Fischbach, Schranbach, Unterbergbach, Daunkogelfernerbach und Fernaubach schlucken und durch einen 25 Kilometer langen unterirdischen Stollen in den neuen Speicher umleiten.

Natur mit Ablaufdatum: die letzten Wildbäche der Stubaier Alpen

Noch schlängelt sich in unzähligen Windungen das kristallklare Wasser des Längentalbachs durch mächtige grüne Niedermoore und Alpenrosen-Zwergstrauchheiden. Die Landschaft ist bislang völlig unbeeinflusst von menschlicher Aktivität oder Bebauung. Noch stürzen in dem Seitental des Ötztals gewaltige Wassermassen der Wildbäche Fischbach, Schranbach und Winnebach tosend ins Tal und versorgen die Ötztaler Ache. Noch sorgen im Stubaital Fernaubach, Daunkogelfernerbach und Unterberbach für ausreichend Wasser im Stubaital. Leider hat die Natur hier jetzt ein großflächiges Ablaufdatum: Das Längental mit seinen hochwertigen Lebensräumen versinkt im neuen Speichersee, Wildbäche verschwinden zu einem großen Teil in den Wehren, und unterhalb verbleiben kleine Gerinne, die keine ökologische Funktion mehr erfüllen können.

Revision abgelehnt, alle gerichtlichen Instanzen durchlaufen

Seit vergangenem Freitag steht dieses Szenario nun endgültig fest. Der Verwaltungsgerichtshof in Wien hat die Revision der Alpenvereine vom August 2019 gegen den Baubescheid abgelehnt. Somit wurde in höchstrichterlicher Instanz das Vorhaben genehmigt, der Bescheid ist nicht weiter anfechtbar. Mehr als neun Jahre haben sich DAV, ÖAV, österreichischer Umweltdachverband, die Gemeinde Neustift im Stubaital und weitere Naturschutzorganisationen gegen die Realisierung dieses Großprojekts eingesetzt. Erste Vorarbeiten laufen aktuell, offizieller Baubeginn ist laut TIWAG Frühjahr 2021. Danach wird das Längental für sechs Jahre zur Sperrzone. Darüber hinaus wird das 20 Kilometer südlicher liegende Umfeld der Amberger Hütte über mehrere Sommer zur Großbaustelle und das dorthin führende Griestal zur Baustellenzufahrt. An der Amberger Hütte entsteht ein Wasserschloss und ein zentraler Zugang zum Stollensystem für den neuen Speicher.

Für verantwortungsvolle erneuerbare Energie

Die großflächige Zerstörung der alpinen Natur wird im Gerichtsbeschluss durch das allgemeine öffentliche Interesse am Ausbau erneuerbarer Energien begründet. Natürlich ist ein solcher Ausbau inklusive Speichermöglichkeiten für das Erreichen der Klimaziele in Europa unabdingbar, dringend nötig und weiter voranzutreiben. Gleichzeitig müssen in dieser Entwicklung aber weitere Bedingungen erfüllt sein, um eine tatsächlich nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Dazu gehört vor allem ein verantwortungsvoller, für die Natur vertretbarer Ausbau von zukunftsweisenden Technologien. Naturverträglich und zukunftsweisend: Beides ist hier nicht gegeben. Einerseits ist der Eingriff in den Wasserhaushalt und in das ökologische Gleichgewicht eines Einzugsgebiets von mehr als 60 km² massiv und widerspricht der EU-Wasserrahmenrichtlinie und den völkerrechtlichen Vereinbarungen der Alpenkonvention zur nachhaltigen Entwicklung des Alpenraumes.

Andererseits werden Speichertechnologien derzeit mit Hochdruck weiterentwickelt. Es ist gut möglich, dass in naher Zukunft Pumpspeicherkraftwerke wie das bei Kühtai von weniger landschaftsverbrauchenden Speichermöglichkeiten abgelöst werden. Das Längental ist derweil für immer verloren. Das hat übrigens auch Auswirkungen auf eine wichtige Lebensgrundlage der einheimischen Bevölkerung. Denn mit dem neuen Speichersee schwinden die Chancen auf eine sanfte und nachhaltige Tourismusentwicklung in der Region noch mehr, als das durch die bestehende Infrastruktur ohnehin bereits der Fall ist.

#unserealpen

Ende 2018 starteten die Alpenvereine AVS, DAV und ÖAV die gemeinsame Kampagne „Unsere Alpen“. Sie möchten damit in einer breiten Öffentlichkeit deutlich machen, wie einzigartig, vielfältig und wertvoll die Alpen sind – und dass dieser Natur- und Kulturraum massiv bedroht ist. Wer die Kampagne unterstützen möchte, kann dies zum Beispiel auf Instagram tun und unter #unserealpen ein Bild sowie seinen Kommentar posten.