Neuigkeiten aus der Krebstherapie: Elektrische Wechselfelder gegen das Tumorwachstum

Neuigkeiten aus der Krebstherapie: Elektrische Wechselfelder gegen das Tumorwachstum
Prof. Dr. Martin Glas - Foto: Universitätsklinikum Essen

In Deutschland erkranken jährlich ca. 476.000 Menschen neu an Krebs. Die Medizin macht rasante Fortschritte. Bei vielen Tumorarten steigen die Überlebensraten, und die Lebensqualität der Erkrankten bessert sich. Prof. Dr. Martin Glas, Leiter der Abteilung Klinische Neuroonkologie, Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Essen, erläutert den Forschungsstand – und wie Hirntumorzellen mit elektrischen Wechselfeldern (Optune-Therapie) bekämpft werden. 

Wo sehen Sie den größten Fortschritt beim Kampf gegen Krebs in den vergangenen 25 Jahren?

Prof. Glas: Als extrem hilfreich hat sich die präzisere Diagnostik erwiesen. Durch bildgebende Verfahren, wie zum Beispiel MRT oder nuklearmedizinische Methoden, wie z.B. das PET, können wir Tumoren heute wesentlich präziser darstellen. Wir können darüber hinaus anhand von Tumormarkern oder von Tumorbestandteilen (z.B. Tumorerbmaterial), etwa im Blut oder Urin des Patienten, den Charakter von Krebserkrankungen viel genauer bestimmen als früher.
Aber auch die reine Tumorgewebediagnostik ist viel molekularer und detaillierter geworden.
Das bietet zum einen die Chance auf eine individuelle und frühere Diagnostik und ist aber sicherlich auch Wegbereiter für eine zielgerichtete Therapie. Diese ist in der Regel dann maßgeschneidert und weniger unselektiv, mit der Folge, dass wir hoffentlich dadurch schonender und effektiver als es früher möglich war behandeln können.

Wie gehen Sie konkret vor?

Prof. Glas: Zunächst einmal steht am Anfang aller Überlegungen eine gute Tumordiagnostik, die heutzutage auch molekulare Analysen beinhaltet. Damit können wir den jeweiligen Tumor deutlich besser charakterisieren. Bei der zielgerichteten Krebstherapie versuchen wir dann, die Behandlung auf die Eigenheiten einer Tumorart und auf die Krebszellen des Patienten abzustimmen.
Durch den maßgeschneiderten Ansatz können Medikamente zum Beispiel gezielt Tumorzellen erkennen. Oder sie entfalten ihre Wirkung erst dann, wenn der Tumor bestimmte Eigenschaften aufweist. Dies kann zur Hemmung des Tumorwachstums und zum Sterben der Krebszellen führen.
Andere Medikamente stören die Neubildung von Blutgefäßen, die der Tumor zu seiner Versorgung benötigt.

Was bedeutet das zum Beispiel für die Chemotherapie?

Prof. Glas: Eine zielgerichtete Chemotherapie ist ja prinzipiell zunächst nur schwer möglich, da die meisten chemotherapeutischen Substanzen recht unspezifisch wirken. Wir verfolgen bei einer Chemotherapie mittlerweile einen personalisierten Ansatz. Dazu zählt z.B., dass man Patienten, bei deren Krebserkrankung Eigenschaften nachgewiesen werden, die auf eine vermehrte Chemotherapie-Empfindlichkeit des Tumors hinweisen, ganz gezielt mit einer Chemotherapie behandelt und andere ggf. nicht oder mit einer medikamentösen Alternative.
Möglich ist auch, dass Patienten mit einem Tumor, der aufgrund der molekularen Ergebnisse als Chemotherapie-empfindlich eingestuft wurde, intensiver chemotherapeutisch behandelt werden, z.B. mit einer geeigneten Substanzkombination. Dieses Konzept hat gerade in jüngster Vergangenheit beim wohl bösartigsten Hirntumor, dem Glioblastom, vielversprechende Erfolge gezeigt.

Bei welchen Krebsarten kann eine zielgerichtete Therapie eingesetzt werden?

Prof. Glas: Die zielgerichtete Krebstherapie wird zum Beispiel bei Brustkrebs, beim Bronchialkarzinom, beim Darmkrebs und mittlerweile auch bei Hirntumoren angewandt.

Sie setzen auch ein relativ neues Mittel in der Krebstherapie ein: Tumortherapiefelder (Optune-Therapie). Wie funktioniert das?

Prof. Glas: Dahinter steckt die Beobachtung, dass elektrische Felder, deren Plus- und Minuspol sich laufend und hochfrequent ändern, die schnelle Teilung von Tumorzellen stören können. Im Einsatz ist diese Behandlung beispielsweise beim Glioblastom – einer Erkrankung, die auch nach OP und Einsatz der derzeitigen Standard-Radiochemotherapie bislang meist schlechte Überlebensraten aufweist.

Was genau bewirkt die Optune-Therapie?

Prof. Glas: Die Teilung von gesunden Zellen, ebenso wie von Krebszellen, läuft sehr organsiert und choreographiert ab. Dieser Vorgang wird erst durch den sogenannten Spindelapparat möglich. Dieser ist im weitesten Sinne aus mikroskopisch feinen Fasern zusammengesetzt, die wiederum u.a. aus Einzel-Bestandteilen mit einem Plus- und Minuspol bestehen. Dieser Apparat ist dabei behilflich, dass sich das Erbmaterial, die Chromosomen, bei der Teilung einer Zelle symmetrisch auf die beiden entstehenden Tochterzellen verteilen. Diese
Zellteilungschoreographie wird durch die schnell wechselnden elektrischen Felder behindert. Die Zellteilung erfolgt dann verzögert oder kann ganz zum Stillstand kommen, was wiederum zum Zelltod führen kann. Dies wurde in zahlreichen wissenschaftlichen Versuchen nachgewiesen.

Wie wird behandelt?

Prof. Glas: Die Behandlung erfolgt mithilfe eines kleinen tragbaren Geräts und Keramikgelpads, die auf dem Kopf appliziert werden. Patienten sollten diese Pads möglichst kontinuierlich tragen, da wir mittlerweile viele Hinweise haben, dass eine längere Tragedauer zu einer besseren Wirkung führen kann. Diese sogenannten Tumortherapiefelder kommen aktuell nach Operation und Strahlenchemotherapie im Rahmen der so genannten Erhaltungstherapie zum Einsatz.

Wir sind allerdings im Rahmen einer unserer Studien gerade schon dabei, die Therapie mit elektrischen Wechselfelder schon vor der Strahlenchemotherapie zu beginnen, in der Hoffnung die Wirkung so verbessern zu können. 

Ist der Einsatz der Optune-Therapie nicht schmerzhaft?
Prof. Glas: Nein. Patienten beschreiben manchmal ein leichtes Wärmegefühl, können die Therapie aber in der Regel in den Alltag integrieren. Das lässt sich allerdings nicht für jeden Patienten voraussagen, sodass wir unseren Patienten bei gegebener Therapieindikation immer einen Therapieversuch empfehlen. Das hat schon manch einen Skeptiker von der Therapie überzeugen können. Allerdings ist diese Therapie, wie viele andere auch, nicht für jeden Patienten geeignet. Wichtig ist darüber hinaus auch, dass durch die gewählte Frequenz und Intensität keine Nervenzellen gereizt werden.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse Ihrer Behandlungen?

Prof. Glas: In einer internationalen Studie und auch bei den von uns behandelten Patienten zeigt sich, dass die Hinzunahme von Tumortherapiefeldern zur Standardtherapie dazu beitragen kann, die Überlebenszeit und vor allem auch die Überlebensraten von Patienten zu verlängern.
Das Glioblastom, der bösartigste Hirntumor überhaupt, bleibt allerdings mit allen derzeit verfügbaren Therapien trotz aller vielversprechenden Fortschritte weiter nicht heilbar. Eine Reihe von Fragen müssen auch bei der Therapie mit Tumortherapiefeldern noch beantwortet werden.
Umso wichtiger ist es, dass wir stetig versuchen, unsere Therapie durch kontinuierliche Forschung zu verbessern und hier natürlich auch neue Studien zu Tumortherapiefeldern durchführen. Stand heute sehe ich aber in den Tumortherapiefeldern eine klare, weitere Therapieoption für unsere Patienten und natürlich auch die Chance auf eine verlängerte Lebenserwartung.

Könnten Tumortherapiefelder auch bei der Behandlung anderer Krebsarten eine Rolle spielen?

Prof. Glas: Das wird gerade untersucht. Aufgrund neuer Studien verdichten sich die Hinweise, dass Tumortherapiefelder in Kombination mit einer Chemotherapie unter anderem auch beim fortgeschrittenen Karzinom der Bauchspeicheldrüse, bei Tumoren im Brustfell oder der Lunge und bei einer speziellen Form von Eierstockkrebs funktionieren können. Ich bin gespannt auf die nächsten Studienergebnisse.

Mehr Infos zum Glioblastom auf www.glioblastom.de