“Sehr spezielle Zeiten“: Pop trifft Pandemie

“Sehr spezielle Zeiten“: Pop trifft Pandemie

Der Münchner Musiker Volker Giesek nutzt die konzertlose Zeit und produzierte während des Sommers einen Popsong über Corona. Wir haben mit ihm über seine Corona Zeit gesprochen.

Volker Giesek - Foto: © Lena Semmelroggen
Foto: © Lena Semmelroggen

Wie hat dich als Berufsmusiker die Corona-Krise betroffen, welche Einschnitte gab es?
Auch mir sind zunächst alle anstehenden Konzerte abgesagt oder auf unbestimmte Zeit – „nächstes Jahr“, „nach Corona“ – verschoben worden. Gerade hat es ein Konzert in Tirol mit der Sängerin Anna Leman erwischt, das mit entsprechendem Hygienekonzept hätte stattfinden sollen. Tja, leider ist Tirol zur Zeit Risikogebiet und nach dem Konzert in Quarantäne zu gehen kann sich keiner aus der Band leisten.
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Wie bist du damit umgegangen oder gehst damit um?
Ich versuche, es mit Langmut zu tragen. Aber ich lenke mich auch ein Stück weit ab, indem ich die Zeit für Dinge nutze wie die aktuelle Songproduktion oder versuche, einen Labelcode von der GVL zu bekommen (um in Zukunft unabhängig von Plattenfirmen zu sein). Außerdem kann man als Musiker immer „Produktpflege“ betreiben und üben.

Es fehlt ja auch mit der Musik ein Stück Lebensgefühl. Ich denke wir werden bewusst entschleunigt und merken es fast nicht. Dabei fehlt uns doch das „Feel-Good“.
Die Entschleunigung wäre ja im Grunde ein positiver Effekt. Dass wir uns dabei so gar nicht wohl fühlen, liegt denke ich an der Perspektivlosigkeit, die mit der Krise einhergeht. Keiner weiß, wie sich die Dinge entwickeln werden oder kann sagen, wann sich die Lage normalisiert. In meinem Bereich heißt das: Kein Veranstalter kann und will planen, Booking und Auftritts-Akquise scheint sinnlos, und wenn dann doch ein Konzert stattfindet, zögert das ohnehin durch die Hygienekonzepte reduzierte Publikum, sich Tickets im voraus online zu kaufen, alle sind verunsichert und die Einnahmen decken die Kosten nicht.

Viele deiner Musikkollegen sind in ernsthaften Schwierigkeiten wegen der fehlenden Einkünfte. Wie kompensierst du das?
Ich bin ja zum Glück seit 2011 Dozent der Berufsfachschule für Pop, Rock, Jazz des Neue Jazzschool München e.V. und dort fest angestellt. So habe ich durch das Wegbrechen des Live-Sektors „nur“ ca. ein Drittel weniger Einnahmen, noch ist die Situation für mich angespannt, aber nicht existenzbedrohend.

Was war/ist für dich das Einschneidendste an der Corona-Krise. Soziale Kontakte – Fehlt es nicht, sich manchmal einfach mit Freunden zu Treffen und Spaß zu haben?
Klar fehlt das, die Unbeschwertheit ist flöten und das mit dem Spaß ist zur Zeit in der Tat so eine Sache. Beispielsweise hieß es in den Verhaltensregeln des KVR zu unserem letzten Open Air-Konzert mit Ecco DiLorenzo & Innersoul Five im Werksviertel: „Es ist unbedingt darauf zu achten, dass bei der Veranstaltung keine „Partystimmung“ entsteht, die mit wechselnden Kontakten, Grölen und / oder Tanzen einhergeht.“ Was bleibt da jetzt von der Seele des Soul? Man kann sich darüber aufregen oder es einfach unter Realsatire verbuchen und lustig finden. Außerdem ist es gut, sich zwischendurch immer wieder klar zu machen: Es wollen ja alle nur das Beste für den Menschen und das Schlechteste für das Virus.

Jetzt habe ich mitbekommen du hast einen Song über diese „Sehr spezielle Zeiten“ geschrieben. Wie kam’s dazu?
Ich saß beim Frühstück und habe einen YouTube-Stream des von mir sehr geschätzten Singer-Songwriters Ben Folds gesehen. Seine Klavierbegleitung des Songs „Doc Pomus“ ist dermaßen virtuos, dass es mich in den Fingern gejuckt hat. Also Semmel weg, ran ans Klavier. So ganz habe ich es dann nicht hinbekommen, aber es hat sich daraus das flirrende Klavierpattern entwickelt, auf dem die Akkorde basieren. Die Gesangsmelodie kam gleichzeitig mit den Akkorden, natürlich noch mit improvisiertem „Banenentext“. Der Hook „Sehr spezielle Zeiten“ war einen Tag später dann das erste Textschnipsel, das auftauchte. Damit war das Thema gesetzt, aber am richtigen Tonfall der Worte zu feilen hat mehrere Tage gedauert. Die Frage war auch: Darf man einen Text über ein derart ernstes Thema wie Corona in ein musikalisch so positives, ohrwurmiges Gewand packen? Mittlerweile bin ich mir sicher: ja, unbedingt! Corona in Moll wäre plakativ, da braucht es ein Gegengewicht. Die Herausforderung war also, einen leichten Song über ein schweres Thema zu schreiben.

Und was willst du in dem Song transportieren?
Eine mild (selbst-) ironische Sichtweise auf die Hindernisse und Maßnahmen, die uns die Krise beschert, kann ein Mittel sein, besser mit Ihnen zurecht und mental unbeschadet durch die schwere Zeit zu kommen. Im Text heißt es aber auch an einer Stelle: „Was fangen wir jetzt bloß an?“, und diese Frage dürften sich in den vergangenen Monaten ja tatsächlich viele Leute gestellt haben, das ist schon ernst gemeint.

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Volker Giesek wurde bei der Produktion im Mastermix-Studio in Unterföhring unterstützt vom Drummer der Spider Murphy Gang, Andreas Keller, dem Bassisten der österreichischen Pop-Band Die Seer, Dietmar Kastowsky, Sängerin Christina Mantel und Gitarrist Stefan Puppele.

Seit Freitag, dem 2. Oktober ist „Sehr spezielle Zeiten“ auf allen gängigen Download- und Streaming-Portalen veröffentlicht.

Wer den Künstler unterstützen möchte, kann den Song vorzugsweise bei Bandcamp, aber auch im iTunes Store kaufen :)

Über Volker Giesek:
Volker Giesek war u. a. zehn Jahre lang Musikalischer Leiter am E.T.A.-Hoffmann-Theater in Bamberg, hat Kunstwerke und Gedichte vertont sowie eine Klavierrevue über Mütter komponiert. Er spielt in verschiedenen Bandprojekten, schreibt Songs mit deutschen und englischen Texten, singt, produziert und erläutert seine Sicht der Dinge auf seinem Blog around Sound. Er hat sechs Jahre lang die Theoriekurse der Jazz Academy in Meran geleitet und unterrichtet an der Neuen Jazzschool München und ihrer BFS für Musik. Mit seiner deutsch-brasilianischen Band Volker Gieseks Colorbox hat er drei Alben veröffentlicht.