Psychische Erkrankungen bei Jugendlichen in Bayern bleiben auf hohem Niveau

Psychische Erkrankungen bei Jugendlichen in Bayern bleiben auf hohem Niveau
  • Stabilisierung bei Depressionen, Ängsten und Essstörungen jugendlicher Mädchen 
  • DAK-Kinder- und Jugendreport untersucht in Sonderanalyse ambulante und stationäre Daten von 2017 bis 2022
  • Mediziner geben „keine Entwarnung“ 
  • DAK-Landeschefin Schwab fordert Ausbau von Präventions- und Unterstützungsangeboten zur Stärkung der psychischen Gesundheit 

Psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen in Bayern stabilisieren sich auf einem hohen Niveau. Nach Anstiegen seit der Corona-Pandemie gab es 2022 im Vergleich zu 2021 leichte Rückgänge in den ambulanten und stationären Behandlungszahlen. Trotzdem ist die Inanspruchnahme bei jugendlichen Mädchen immer noch höher als vor der Corona-Pandemie. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Analyse des Kinder- und Jugendreports der DAK-Gesundheit für Bayern. Die Daten zeigen, dass weiterhin jugendliche Mädchen am stärksten von Depressionen, Angststörungen und Essstörungen betroffen sind. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ergebnisse geben Experten keine Entwarnung. DAK-Chefin Schwab fordert spezifische Präventions- und Unterstützungsangebote zur Stärkung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.

Für die aktuelle DAK-Sonderanalyse im Rahmen des bayerischen Kinder- und Jugendreports untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Vandage und der Universität Bielefeld Abrechnungsdaten von rund 107.500 Kindern und Jugendlichen bis einschließlich 17 Jahren, die bei der DAK-Gesundheit in Bayern versichert sind. Analysiert wurden anonymisierte Versichertendaten aus den Jahren 2017 bis 2022. Es ist die erste umfassende Analyse von ambulanten und stationären Behandlungen für das vergangene Jahr. 

„Die aktuellen Ergebnisse sind besorgniserregend. Leichte Rückgänge bedeuten nicht, dass jetzt alles wieder in Ordnung ist. Stattdessen beobachten wir, dass das Leiden vieler Kinder und Jugendlicher sich verfestigt“, sagt Sophie Schwab, Landeschefin der DAK-Gesundheit in Bayern. „Vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltslage könnte auch präventiven und pädagogischen Angeboten der Rotstift drohen. Wir dürfen nicht an der Gesundheit unserer Kinder sparen. Ganz im Gegenteil: Wir brauchen mehr spezifische Präventions- und Unterstützungsangebote in Bayern, wie zum Beispiel Schulgesundheitsfachkräfte, oder auch die bayerische Initiative KRISENFEST, die durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention finanziert wird. Erfreulich ist, dass in diesem Herbst bundesweit an rund 100 Schulen das Projekt der Mental Health Coaches gestartet ist. Ein wichtiger Schritt. Der Bedarf ist allerdings deutlich höher. Allein in Bayern gibt es mehr als 6.000 Schulen. Die Mental Health Coaches dürfen nicht nur ein Modellvorhaben bleiben, sondern müssen zur festen Institution an Schulen werden.“ 

Stabilisierung der Behandlungszahlen auf hohem Niveau
Die DAK-Auswertung zeigt, dass die Behandlungszahlen bei psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen 2022 in Bayern im Vergleich zu 2021 insgesamt leicht rückläufig sind. So erhielten 2022 elf Prozent weniger jugendliche Mädchen eine Neu-Diagnose in diesem Bereich als 2021. Bei Jungen steht ein Minus von sieben Prozent. Mit Blick auf die Situation vor der Corona-Pandemie lagen die Behandlungszahlen im vergangenen Jahr weiterhin auf einem hohen Niveau – insbesondere bei jugendlichen Mädchen. Hier gab es 2022 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 ein Plus von sechs Prozent. Insgesamt wurde 2022 bei rund 15.000 jugendlichen Mädchen in Bayern eine psychische Erkrankung oder Verhaltensstörung neu diagnostiziert.

„Die aktuellen Daten geben weiterhin Anlass zu Sorge“, sagt Prof. Dr. med. Christoph U. Correll, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Berliner Charité. „Wir sehen eine Stabilisierung der Neuerkrankungsraten bei psychischen Erkrankungen auf einem hohen Niveau. Von einer Normalisierung der Lage kann keine Rede sein. Es gibt keine Entwarnung. Auch wenn die Zahlen rückläufig sind: Wir befinden uns immer noch in einer Mental-Health-Pandemie. Und jugendliche Mädchen tragen die sichtbar größte Last.“

Jugendliche Mädchen leiden besonders
Die aktuelle Analyse des Kinder- und Jugendreport belegt, dass vor allem jugendliche Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren mit Depressionen, Angststörungen und Essstörungen in ärztlicher Behandlung sind. Zwar ging die Neuerkrankungsrate bei Depressionen 2022 in Bayern um sieben Prozent im Vergleich zu 2021 zurück. Doch im Vergleich mit 2019, dem letzten Jahr vor Ausbruch der Corona-Pandemie, steht ein Plus von 32 Prozent. Bei Ängsten und Essstörungen sind die Trends noch ausgeprägter. Im Vergleich zu 2021 erkrankten rund sechs Prozent weniger jugendliche Mädchen 2022 neu an Angststörungen – im Vergleich zu 2019 waren es aber 41 Prozent mehr. Bei Essstörungen gingen 2022 die Neuerkrankungen im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent zurück. Mit Blick auf 2019 stiegen die Zahlen aber um 70 Prozent an. 

„Die Ergebnisse sind sehr beunruhigend“, so Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen e. V. (BVKJ). „Dass die Neuerkrankungsraten leicht sinken, ist kein Grund für eine Entwarnung, da die Prävalenzen gegenüber 2019 immer noch sehr hoch sind. Insbesondere die zunehmende Komorbidität bei Depressionen und Angststörungen sowie der signifikante Trend zur Chronifizierung sorgen mich, denn dies lässt die Hoffnung schwinden, dass die Probleme zumindest in absehbarer Zeit von selbst wieder verschwinden werden. Die Politik sollte sich diese Erkenntnisse für die Zukunft zu Herzen nehmen, damit im Falle eines ähnlichen Geschehens nicht erneut die gleichen Fehler begangen werden. Großen Handlungsbedarf sehe ich bei Hilfsangeboten für psychisch kranke Jugendliche – damit meine ich nicht nur die medizinische Versorgung, sondern auch beispielsweise pädagogische Maßnahmen.“

Jungen seltener in Behandlung als Mädchen
Die DAK-Analyse verdeutlicht, dass Jungen im Jugendalter seltener aufgrund von psychischen Erkrankungen oder Verhaltensstörungen behandelt werden. So erhielten 2022 16 Prozent weniger 15- bis 17-jährigen Jungen in Bayern eine Neudiagnose in diesem Bereich als im Vor-Pandemie-Jahr 2019. Bei jugendlichen Mädchen steht hingegen insgesamt ein Plus von sechs Prozent.  

„Während Jungen bei psychischen Belastungssituationen eher externalisierend reagieren, das heißt Sozialverhaltensstörungen wie Aggressivität, Impulsivität und oppositionelles Verhalten zeigen, neigen Mädchen eher zu internalisierenden Störungen wie Rückzug, Angst bis hin zu depressiven Verstimmungen und Essstörungen“, so Fischbach. „Externalisierende Störungen werden oft nicht als psychische Störungen gewertet, sondern als Sozialverhaltensstörungen. Sie sind somit wahrscheinlich unterdiagnostiziert.“

„Zudem besteht die Sorge, dass Jungen eventuell bei psychischen Belastungen mehr auf substanzgebundene und nicht-substanzgebundene Suchtmittel, wie Gaming, zurückgreifen. Das gilt es weiter zu beobachten“, sagt Correll.

Die DAK-Gesundheit ist mit 5,5 Millionen Versicherten, davon 755.000 in Bayern, die drittgrößte Krankenkasse Deutschlands und engagiert sich besonders für Kinder- und Jugendgesundheit.