Tourengehen am Taubenstein im Spannungsfeld von Tourismus, Naturschutz und Sicherheit

Tourengehen am Taubenstein im Spannungsfeld von Tourismus, Naturschutz und Sicherheit
Symbolbild

Gemeinsame Studie von LMU, Alpenregion Tegernsee Schliersee in Kooperation mit der Gästeinformation Schliersee, Gebietsbetreuung Mangfallgebirge, Lawinencamp-Bayern und Sektion München des DAV.

Die Sektion München des Deutschen Alpenvereins e. V. hat gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie und Tourismusforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Gebietsbetreuung Mangfallgebirge, der Alpenregion Tegernsee Schliersee und dem Lawinencamp Bayern in einer umfangreichen Studie eine Übersicht über die winterliche Nut-zung des Taubensteingebiets sowie eine einmalige Typologie des Skitourengehens am Tau-benstein im Spitzinggebiet eruiert.

Für die Erfassung der studienrelevanten Daten wurden im Dezember 2018 an der Talstation der Taubensteinbahn zwei LVS-Checkpoints mit Infrarot-Technik installiert. Direkt neben die-sen Checkpoints wurden seitens der Gemeinde Schliersee und den Alpenbahnen Spitzingsee Infotafeln aufgestellt, um die Wintersportler über Tourenmöglichkeiten, Wald-Wild-Schonge-biete und Sicherheitsaspekte zu informieren.

Nach ersten Messungen des Tourenverhaltens im Winter 2018/19 wurden dieses Jahr an je-weils mehreren Tagen von Studenten der LMU zusätzlich umfangreiche Befragungen vor Ort durchgeführt. So wurden im Februar und März 2020 – noch vor dem Corona-Lockdown – an 13 Tagen rund 360 Tourengeher interviewt.

Anhand der wesentlichen Ergebnisse der Untersuchungen kann eine Art „Typologie des Skitourengehers am Taubenstein“ formuliert werden:

  • Der durchschnittliche Skitourengeher am Taubenstein kommt überwiegend aus dem südlichen Oberbayern. Die meisten Wintersportler stammen aus Stadt und Landkreis München, gefolgt von den Landkreisen Miesbach und Rosenheim. An den Wochenen-den steigt die Anzahl der Sportler aus anderen Teilen Bayerns.
  • 67 Prozent der Skitourengeher sind männlich; 30 Prozent im Alter zwischen 50 und 59 Jahren; 70 Prozent der Tourengeher haben keine Kinder unter 18 Jahren (mehr) im eigenen Haushalt.
  • 66 Prozent besitzen einen Hochschulabschluss, und mit 38 Prozent leben überdurch-schnittlich viele Skitourengeher in Drei- bis Vier-Personen-Haushalten.
  • Der durchschnittliche Skitourengeher startet früh. Im letzten Winter gingen die meis-ten Tourengeher zwischen acht und zehn Uhr los. Im Winter 18/19 verteilte sich die Anzahl der Sportler gleichmäßig auf den Zeitraum zwischen 9:30 und 16:30 Uhr.
  • Der Schwerpunkt des Tourenverhaltens variiert zwischen den Tageszeiten. Tagsüber sind Wintersportler überwiegend an Samstagen- und Sonntagen unterwegs, nachts stark mittwochs und donnerstags. Diese beiden Tage sind im Taubensteingebiet klassische Hüttenabende.
  • 33 Prozent der Tourengeher wählen als Ziel das Taubensteinhaus, weitere 23 Prozent den Taubenstein selber. Weitere beliebte Ziele sind der Jägerkamp und die Schönfeldhütte.
  • 67 Prozent der Tourengeher sind maximal zweimal im Monat am Taubenstein unterwegs; nur sieben Prozent mehr als viermal.
  • Der durchschnittliche Skitourengeher am Taubenstein übt seinen Wintersport auch bei objektiv schlechten Wetterbedingungen aus. Niedrige Temperarturen, Wind sowie Niederschlag sind für die Ausübung des Skitourensports nachrangig.
  • Auch die Lawinenlage ist für die meisten Tourengeher tendenziell unbedeutend. Da-bei wird jedoch durchgehend die aktuelle Lawinenwarnstufe unterschätzt und persön-lich falsch eingeschätzt.
  • 82 Prozent der Tourengeher informieren sich jedoch vorab über die Lawinenstufe und nutzen dabei den offiziellen Lawinenlagebericht. 7,6 Prozent wurden schon mal selber von einer Lawine erfasst.
  • 64 Prozent der Tourengeher haben LVS-Gerät, Schaufel und Sonde dabei, 7 Prozent hingegen nur das LVS-Gerät. Im Notfall kann ihnen also geholfen werden, sie selber können jedoch nicht helfen. 29 Prozent waren sogar völlig ohne Lawinen-Ausrüstung unterwegs.
  • 77 Prozent der Tourengeher informieren sich vorab online über die Tourenmöglichkei-ten und -bedingungen, 50 Prozent nutzen dazu AV-Karten.
  • 73 Prozent der Wintersportler sind in Gruppen von zwei bis drei Personen unterwegs, 19 Prozent hingegen allein.
  • 63 Prozent der Tourengeher informieren sich erst im Gelände über die bestehenden Wald-Wild-Schongebiete, 35 Prozent hingegen vorab über die Auszeichnungen in den AV-Karten.

Erster Corona-Winter wird zu besonderen Herausforderungen führen
Roman Ossner, zuständig für Umwelt & Natur bei der Sektion München des Deutschen Al-penvereins und Projektleiter der Studie: „Die Ergebnisse unserer gemeinsamen Untersu-chung zeigen leider deutlich, dass das Spitzinggebiet und besonders der Taubenstein unter erheblichem Wintersportlerdruck steht. Der bevorstehende Winter und die Einschränkungen der Corona-Pandemie werden diese Situation weiter verschärfen. Alle Studien-Beteiligten müssen in den kommenden Wochen und Monaten die Situation vor Ort genau beobachten und die Tourengeher on- wie offline, vor Ort und über klassische Kommunikationswege bera-ten und begleiten. Die Tourengeher selber sollten höchste Sensibilität bei der Ausführung ihres Sports zeigen.“

Die Sektion München sieht ihre wesentliche Aufgabe in diesem Zusammenhang, das richtige Maß zwischen Bergsport und Naturschutz zu finden. Dazu wird sie mittels einer Kampagne mit dem DAV Bundesverband und ihrer Partnersektion Oberland versuchen, den zu erwarten-den Besucherstrom zu lenken. Ossner weiter: „Richtig ausgezeichnete Wege und Winterrou-ten, ausreichende Beschilderung im Gelände sowie die Aufklärung über die richtige Nutzung der Alpenvereinskarten – das sind die Hebel der Sektion München, um den Winter 20/21 am Spitzing sicher und naturverträglich mitzugestalten.“

Wissenschaftliche Ergebnisse mit Auswirkung vor allem in der Ausbildung
Für den wissenschaftlichen Partner des Projekts – dem Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie und Tourismusforschung der LMU München – war es das wesentliche Ziel, die Mitnahme von LVS-Geräten anhand der Checkpoint-Daten zu untersuchen und Einflussfaktoren auf die Ent-scheidung zur Mitnahme der Lawinennotfallausrüstung auf Skitouren mit Hilfe einer Befra-gung von Skitourengehern vor Ort herauszuarbeiten. Maximilian Witting, wissenschaftlicher Mitarbeiter des LMU-Lehrstuhls: „Die Ergebnisse sind nicht nur von wissenschaftlicher Rele-vanz, sondern sollten vor allem in der Ausbildung und in Bewusstseinsbildungsmaßnahmen Berücksichtigung finden.“

Schutz der Wildtiere von besonderer Bedeutung für den Natur- und Artenschutz
Florian Bossert, Gebietsbetreuer Mangfallgebirge im Landkreis Miesbach, hat das Projekt aus Sicht des Natur- und Artenschutzes betreut. Besonderen Fokus legte er dabei auf die Wald-Wild-Schongebiete und den Schutz von Wildtieren, allem voran von Birk- und Auerhuhn. Zu-dem betreute Bossert die Studenten der LMU inhaltlich vor Ort.

Aus Sicht von Florian Bossert ist das Spitzinggebiet besonders auch in schneearmen Wintern und bei höherer Lawinenwarnstufe besonderem Nutzerdruck ausgesetzt. Bossert: „Da diese Phasen vermutlich zunehmen werden, ist eine noch größere Sensibilisierung der Bergsportler für Schon- und Schutzgebiete vor Ort notwendig. So schlagen wir etwa eine stärkere Len-kung in den Dämmerungs- und Nachtstunden mit der Erarbeitung eines Konzeptes für Tou-renabende am Taubenstein vor.“ Da sich etwa die Hälfte der Tourengeher vorab nicht über Schon- und Schutzgebiete informieren, ist aus Bosserts Sicht für den kommenden Winter eine starke Präsenz vor Ort notwendig – besonders nach Neuschnee, am Wochenende und an Abenden. Hierbei ist er sehr froh, dass er künftig von den Rangern der Alpenregion Te-gernsee Schliersee unterstützt wird.

Studienergebnisse auch für den Tourismus in der Region von Bedeutung
Die Alpenregion Tegernsee Schliersee (ATS) hat das Projekt von Anfang an konzeptionell und finanziell unterstützt. Thorsten Schär, ATS-Geschäftsleiter: „Uns ist die Entwicklung im Be-reich Skitouren am Taubenstein und die damit verbundene Besucherlenkung ein großes Be-dürfnis.“

Aus der nun vorliegenden Studie ergibt sich für die ATS eine Vielzahl touristischer Rück-schlüsse. Schär weiter: „Der Taubenstein ist ein hochfrequentiertes Skitourengebiet, das auch verstärkt von Anfängern und Einsteigern genutzt wird. Große Bedeutung wird daher künftig eine verstärkte Informationsvermittlung im Bereich Touren, Sicherheit und auch der Beschilderung haben. Dabei geht es uns auch darum, Skitourengeher aus dem Skigebiet Spitzingsee-Tegernsee ins eigentliche Skitouren-Terrain zu lenken.“

Die Notwendigkeit, lenkend auf die Wintersportler einzuwirken, sieht Thorsten Schär auch bei den beliebten Feierabend-Touren. Daneben kommt es dem ATS-Geschäftsleiter auf einen richtigen Mix der Informationsvermittlung an. „Der Taubenstein ist auf jedem Outdoor-On-lineportal prominent vertreten. Wir müssen aber auch darauf achten, dass die Tourengeher vor Ort auch die Beschilderung im Gelände oder klassische Karten nutzen können“, so Thors-ten Schär.

Mathias Schrön, Kuramtsleiter Schliersee: „Der Markt Schliersee freut sich, dass mit diesem Projekt fundierte wissenschaftliche Informationen auch für unsere Bürger und Bürgerinnen und Gäste geschaffen wurde. Ein solches Projekt hat Strahlkraft und kann Vorbildcharakter für weitere Aktivitäten in dieser Richtung haben.“

Information und Ausbildung im Lawinenbereich muss ausgebaut werden
Alexander Römer, Gründer des Lawinencamp-Bayern, hatte vor knapp zwei Jahren den Ge-danken, im Taubensteingebiet einen LVS Check Point inklusive Infotafel zu installieren. Als er mit dieser Idee auf die Gebietsbetreuung Mangfallgebirge und die DAV-Sektion München zu-ging, legte er damit den Grundstein für die heute vorgelegte Studie.

„Das Ergebnis der Studie bestätigt, was meine Bergführerkollegen und ich selbst über die letzten Jahre hinweg beobachten konnten. Das meist einfache Gelände am Spitzingsee und die hohe Frequentierung, wiegen die Tourengeher in vermeintlicher Sicherheit. Hinzu kommt, dass immer noch sehr viele Tourengeher mit unvollständiger, und manchmal sogar ganz ohne Notfallausrüstung im Tourengebiet unterwegs sind. Hier braucht es nach wie vor eine intensive Aufklärung und Schulung der Tourengeher“, so Alexander Römer.