300.000 Menschen feiern beim CSD in München – ein starkes Zeichen für Freiheit, Vielfalt und Demokratie

300.000 Menschen feiern beim CSD in München

Oberbürgermeister Dieter Reiter hat es bei seiner Rede auf der Bühne am Marienplatz auf den Punkt gebracht, als er den Münchner CSD gestern offiziell eröffnete: Dieses Jahr sei der CSD noch wichtiger als sonst angesichts der vielen Übergriffe auf queeres Leben. „Da dürfen wir nicht wegsehen und müssen zusammenstehen.“ Denn München lebt von seiner Vielfalt und Weltoffenheit.

Tatsächlich stehen LGBTIQ* weltweit unter Druck. Die Statistiken der LGBTIQ*-Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt Strong! zeigt allein für Bayern: Die Angriffe mehren sich. Demnach wurden 2024 exakt 289 Vorfälle gemeldet – das waren 59 mehr als im Vorjahr und insgesamt 130 mehr als noch vor zwei Jahren. Die Tatbestände reichen von einfachen Alltagsdiskriminierungen über Beleidigungen, Bedrohungen und Benachteiligung bis hin zu sexueller Belästigung und schwerer Körperverletzung. Insbesondere trans* Menschen sind betroffen.

Zahlen der Staatsregierung bestätigen den Trend. Im März 2025 meldete Bayern auf eine Anfrage der Fraktion Die Grünen / Bündnis 90 im Landtag für das vergangene Jahr 177 angezeigte Straftaten; 2023 waren es 190.

Die Münchner Community hatte sich vor diesem Hintergrund 2025 einem kämpferischen Motto verschrieben. Mit »Liberté Diversité Queerité« rief der Münchner CSD zur Wahrung von Freiheit und Demokratie auf gegen Rechtsextremismus und Populismus, wie sie sich derzeit verbreiten. »Liberté Diversité Queerité« steht für Freiheit, Vielfalt und ein sichtbares, selbstbestimmtes queeres Leben.

300.000 Menschen waren am Samstag auf den Beinen

Dafür haben am Samstag Tausende Menschen demonstriert. Zu den 20.000 Teilnehmer*innen der PolitParade mit ihren 201 Gruppen gesellten sich laut Polizei 230.000 Zuschauer*innen über die 3,5 Kilometer lange Wegstrecke. Mit den 50.000 Besucher*innen des Straßenfests waren dann um die 300.000 Menschen am Samstag unterwegs. Für Sonntag rechnen die Veranstalter*innen nochmal mit mehreren Zehntausenden Menschen in der Innenstadt, die die sechs verbleibenden Areas des Straßenfests aufsuchen.

CSD-Geschäftsführer Alex Kluge sagt: „Wir sind glücklich, dass so viele Menschen am Pride in München teilgenommen haben. Es war ein friedliches, buntes Fest für Freiheit und Demokratie. Viele Menschen haben sich gesagt: Jetzt erst recht! Angesichts der aktuellen Lage sei es alles andere als selbstverständlich, dass queere Menschen öffentlich für gleiche Rechte und Akzeptanz eintreten.

Friedliches Miteinander trotz einzelner Konflikte

PolitParade, Straßenfest und RathausClubbing verliefen am Samstag im Großen und Ganzen friedlich, auch wenn die Konflikte unserer Zeit freilich nicht vor dem CSD Halt machen. Während der PolitParade wurde etwa die Gruppe Be’er Sheva Munich Queer beschimpft, die die queere Community in Münchens israelischer Partnerstadt unterstützt.

An einigen Infoständen gab es später Auseinandersetzungen mit aggressiv auftretenden christlichen Gruppen. Am Zelt der Kontaktgruppe Munich Kyiv Queer, die sich für LGBTIQ* in Münchens Partnerstadt Kyjiw einsetzt, haben zwei Männer Deko abgerissen und das Team der Propaganda für die Ukraine bezichtigt.

Main Act cancelt Auftritt

Sonntag sagte schließlich die Künstlerin Myss Keta ihren Auftritt ab, weil der CSD auf seiner Website, in den sozialen Medien und im PrideGuide Israel unterstütze. Das teilte sie in einem Statement auf Instagram mit.

Der CSD bedauert die Entscheidung von Myss Keta, stellt aber klar: „Der CSD München steht für queere Sichtbarkeit, gegen Rassismus und Antisemitismus. Wir kämpfen gegen die Diskriminierung marginalisierter Gruppen und setzen uns für den Dialog zwischen queeren Communitys weltweit ein.“ Die Solidarität mit queeren Menschen in Be’er Sheva stelle in keiner Weise ein Mittragen staatlicher Politik dar. „Eine Stellungnahme gegen Antisemitismus ist keine Unterstützung für eine Staatsregierung und deren Handlungen.“

Insgesamt waren die Menschen gut gelaunt, haben aufeinander geachtet. Veranstalter und Polizei hatten im Vorfeld für umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen gesorgt. Auch das Awareness- und Inklusions-Team des CSD sorgten sich um Anliegen der Besucher*innen.

Forderung nach Aktionsplan

Vor dem Hintergrund des Rechtsrucks in Deutschland haben auf der Bühne am Marienplatz Vertreter*innen von Politik und Community wie Dominik Krause, Zweiter Bürgermeister der Landeshauptstadt München, und Rosa-Liste-Spitzenkandidat Bernd Müller immer wieder die Umsetzung der Forderungen des CSD Münchens gefordert. Bundes- und Staatsregierung werden dazu aufgerufen,

  •    den Schutz queerer Menschen ins Grundgesetz aufzunehmen, indem Artikel 3 um die Merkmale „sexuelle Orientierung“ und „geschlechtliche Identität“ erweitert wird
    •    Strategien gegen Hasskriminalität und Hassrede zu entwickeln
    •    dafür zu sorgen, dass trans*, inter* und nicht-binäre Menschen weiterhin ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag selbstbestimmt wählen können
    •    das Abstammungsrecht zu modernisieren, damit verheiratete Lesben nicht mehr das leibliche, in die Ehe geborene Kind ihrer Frau adoptieren müssen
    •    queeren Geflüchteten, die in ihrem Heimatland verfolgt werden, Schutz zu gewähren
    •    in Bayern endlich einen mit der queeren Community entwickelten Aktionsplan zu verabschieden.

„Wir demonstrieren, weil wir so leben wollen, wie wir sind“, sagt Dominik Krause. Denn, so Bernd Müller: „Queer zu sein ist ein Menschenrecht. Und wenn dieses Menschenrecht bedroht ist, dann müssen wir Flagge zeigen. Wir laufen Gefahr, Erreichtes zu verlieren.“ Ihr Appell an alle: Stehen wir zusammen!

Mehrheit in Deutschland zeigt sich (noch) LGBTIQ*-freundlich

Noch ist nichts verloren. Wissenschaftliche Daten belegen das: Einer Studie des Markt- und Sozialforschungsinstituts Ipsos zufolge, die der Münchner CSD vor zwei Wochen zur Eröffnung der PrideWeeks vorstellte, hat sich die Lage zwar in vielen Ländern merklich zugespitzt – allen voran in den USA. Insbesondere junge Männer der Generation Z zeigen sich gegenüber Initiativen für die LGBTIQ*-Community skeptisch, wohingegen junge Frauen immer progressiver werden.

Hierzulande dagegen sind drei Viertel aller Befragten der Meinung, dass Lesben, Schwule und Bisexuelle (78 Prozent) sowie trans* Personen (75 Prozent) vor Diskriminierung geschützt werden sollten. Ebenso unterstützen 74 Prozent das Recht auf Adoption für gleichgeschlechtliche Paare. 71 Prozent befürworten zudem, dass Homosexuelle heiraten dürfen. Das gehört es zu verteidigen.

Seit mehr als 40 Jahren demonstrieren LGBTIQ* in München für gleiche Rechte und Akzeptanz. Bei der größten Veranstaltung der Community im süddeutschen Raum, die getragen wird vom Lesbisch-Queeren Verein LesCommunity, dem Schwul-Queeren Zentrum Sub, der Münchner Aids-Hilfe, der Wähler*innen-Initiative Rosa Liste und der queeren Jugendorganisation diversity München, finden innerhalb zweier PrideWeeks mehr als 80 Veranstaltungen (2025) statt. Höhepunkte sind die PolitParade mit zuletzt 300.000 Teilnehmer- und Zuschauer*innen (2025), das zweitägige Straßenfest rund um den Marienplatz und das Party-Event RathausClubbing.