Gedenkakt zum Jahrestag des Oktoberfestattentats vom 26. September 1980

Gedenkakt zum Jahrestag des Oktoberfest-Attentats

Es war der schwerste Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Am 26. September 1980 explodierte um 22.19 Uhr direkt am Haupteingang des Oktoberfests eine Bombe. Zwölf Menschen und der Attentäter wurden damals in den Tod gerissen, 221 weitere zum Teil schwer verletzt.

Gedenkakt zum Jahrestag des Oktoberfestattentats vom 26. September 1980
Foto: © Landeshauptstadt München / Kulturreferat

Am Haupteingang der Münchner Theresienwiese wird die Stadt München ab heute mit einem Informationsort an das Oktoberfest-Attentat vom 26.9.1980 erinnern. Er wurde gemeinsam mit Überlebenden entwickelt.

„Die Beteiligung der Überlebenden bei der Gestaltung der neuen ´Dokumentation Oktoberfest- Attentat´ war allen, die daran mitgewirkt haben, ein zentrales Anliegen. Die Auseinandersetzung mit dem Attentat und auch dem Ort des Geschehens hat ihnen viel abverlangt. Auch heute ist es ein schwerer Gang für die Hinterbliebenen und Überlebenden, der Gedenkveranstaltung beizuwohnen. Und gleichzeitig ist es wichtig, dass diejenigen sichtbar werden, um die es hier und heute geht. Mit der ´Dokumentation Oktoberfestattentat´, die wir heute eröffnen und der ich große Resonanz wünsche, führen wir die Neuausrichtung des Gedenkens und Erinnerns fort. Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die vor vierzig Jahren hier auf der Theresienwiese von einem Rechtsextremisten getötet oder schwer verletzt wurden. Für die Hinterbliebenen und die Überlebenden ist ihre Realität seither eine andere. Ihr Leben wird nie mehr so sein, wie vor dem Anschlag. Es ist unser aller Aufgabe, gegen menschenfeindliche Gesinnungen und Terror zusammenzustehen. Mit der Dokumentation zeigen wir die Hintergründe des Verbrechens auf und lenken den Blick auf die Überlebenden. Ihnen bleiben wir verpflichtet“ so Oberbürgermeister Dieter Reiter.

Im Rahmen einer Gedenkveranstaltung für geladene Gäste ab 10 Uhr wird die Dokumentation Oktoberfest-Attentat am 40. Jahrestag der Tat an die Öffentlichkeit übergeben. Sprechen werden für die Überlebenden Gudrun Lang, Robert Höckmayr, Renate Martinez, Dimitrios Lagkadinos, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder, der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter und Pia Berndt, Jugendvertretung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB Jugend München). Die DGB Jugend setzt sich seit 38 Jahren kontinuierlich für das Erinnern vor Ort ein.

Um 18 Uhr wird aus dem Rathaus per Livestream die Diskussion „Das Oktoberfestattentat und die Kontinuitäten rechten Terrors“ übertragen unter www.muenchen.de/demokratie. Der Rechtsanwalt Werner Dietrich, der bis heute zahlreiche Betroffene des Attentats vertritt, eröffnet mit einem Impulsvortrag. Anschließend diskutieren die Extremismus-Expert*innen Robert Andreasch, Prof. Dr. Gabriele Fischer, Dr. Matthias Quent und Andrea Röpke über den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit rechtsterroristischen Anschlägen sowie die fortwährende Gefahr rechter Gewalt. Heike Kleffner moderiert.

Um 22 Uhr beginnt ein Theater- und Filmabend auf der Theresienwiese, veranstaltet von der DGB Jugend und den Münchner Kammerspielen. Live aufgeführt wird ein Ausschnitt aus Christine Umpfenbachs Doku-Theater „9/26 Das Oktoberfest-Attentat“. Es folgt die Kurzdokumentation „Im Kampf gegen das Vergessen“ der DGB Jugend.

Eine Übersicht über diese und über 20 weitere Veranstaltungen liegt bei und ist unter www.dokumentation-oktoberfestattentat.de aufgeführt. Alle Informationen werden online laufend aktualisiert, um den jeweils gültigen Corona-Regeln gerecht zu werden. Das Programm des Kulturreferats der Landeshauptstadt München und der Fachstelle für Demokratie wird gemeinsam mit zahlreichen Partnerinnen und Partnern aus der Stadtgesellschaft gestaltet.

Die städtische Broschüre zum Oktoberfest-Attentat wurde neu aufgelegt und ist im Infopoint Museen & Schlösser in Bayern im Alten Hof gratis erhältlich in einer deutschen und einer englischen Version.

Rede: Oberbürgermeister Dieter Reiter
Wir gedenken heute der Getöteten des Oktoberfestattentats vom 26. September 1980, des schwersten rechtsterroristischen Anschlags in der Geschichte der Bundesrepublik – wir gedenken heute Gabriele Deutsch, Robert Gmeinwieser, Axel Hirsch, Markus Hölzl, Paul Lux, Ignaz Platzer, Ilona Platzer, Franz Schiele, Angela Schüttrigkeit, Errol Vere-Hodge, Ernst Vestner und Beate Werner –, und wir fühlen mit den Hinterbliebenen, den vielen Verletzten und mit den Angehörigen.

Es ist gut, dass wir heute hier mit einer öffentlichen Gedenkveranstaltung an das Oktoberfest-Attentat von 1980 erinnern. Und es ist gut, dass heute vier Überlebende einen besonderen Anteil am Gedenken haben. Außerdem ist es gut, dass wir den heutigen 40. Jahrestag des Terroranschlags zusammen mit dem Bundespräsidenten und dem bayerischen Ministerpräsidenten begehen. Gut ist es auch, dass die Bundesanwaltschaft den Anschlag nun endlich klipp und klar als rechtsextremistisch motivierten Terror eingestuft hat. Damit hat Sie all denjenigen Recht gegeben, die immer die These vom„unpolitischen“ Anschlag hinterfragt haben. Gut ist schließlich auch, dass sich Bund, Land und Kommune endlich auf eine gemeinsame Solidarleistung geeinigt haben, die wir möglichst bald und unbürokratisch bereitstellen werden.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Womit wir allerdings auch schon bei den Dingen wären, die überhaupt nicht gut sind oder waren: So ist es enttäuschend und bedauerlich, dass die Hintergründe des Oktoberfest- Attentats trotz der intensiven und ernsthaften Ermittlungen der letzten Jahre im Zuge der Wiederaufnahme des Falles nicht mehr vollständig aufgeklärt werden konnten. Gerade für die Hinterbliebenen der Getöteten und die Verletzten des Bombenanschlags wäre es so wichtig gewesen, endlich Klarheit zu bekommen über die genauen Tathintergründe und mögliche Mittäter. Das ist leider nicht gelungen.

Noch schwerer aber wiegt ein anderes Versäumnis: nämlich, dass man die Familien der Getöteten, die Überlebenden und ihre Angehörigen jahrzehntelang in beschämender Weise allein gelassen hat mit ihren Verletzungen, ihren Schmerzen und ihren Traumata. Ihre Hilferufe hat man ignoriert, ihre Forderungen nach Unterstützung wurden oft genug abgelehnt und sie selbst sogar als Simulanten diffamiert. Das ist für einen Rechtsstaat vollkommen inakzeptabel und mehr noch, einer humanen Gesellschaft absolut unwürdig. Auch von Seiten der Münchner Stadtpolitik und der städtischen Verwaltung gab es hier in der Vergangenheit durchaus Versäumnisse, die ich zutiefst bedauere und für die ich mich als Münchner Oberbürgermeister bei allen Betroffenen im Namen der Stadt ausdrücklich entschuldige.

Vier Jahrzehnte nach dem Anschlag leiden viele der Überlebenden noch immer unter ihren schweren Verletzungen. Daran konnten lange Krankenhausaufenthalte ebenso wenig etwas ändern wie unzählige Operationen und alle möglichen Rehabilitationsmaßnahmen. Aber es sind nicht nur physische Beeinträchtigungen, die viel von ihrer Lebensqualität genommen haben. Hinzu kommen psychische Belastungen, was die Verarbeitung der schrecklichen Erlebnisse angeht. Dabei waren die Überlebenden des Anschlags und die Angehörigen von Verletzten und Todesopfern zumeist auf sich allein gestellt.

Längst wissen wir, wie wichtig in solchen Fällen Maßnahmen der Krisenintervention und der Notfallseelsorge sind. Aber so etwas gab es damals noch nicht. So unsensibel und hartleibig Politik und Verwaltung in der Vergangenheit regelmäßig auf die Bedürfnisse der Überlebenden reagiert haben, so sehr bemühen wir uns inzwischen, eine spürbare Wende im Umgang mit den Betroffenen des Attentats zu vollziehen. Und zu einer angemessenen Erinnerungskultur zu gelangen.

Was übrigens auch die Gestaltung dieses Erinnerungsortes mit einschließt. Auch der hat lange Zeit nicht die gebührende Beachtung gefunden, wobei sich die Ansprüche unserer Tage an einen würdigen und angemessenen Gedenkort freilich auch deutlich von denen der 1980er Jahre unterscheiden.

Darauf wurde bereits schon einmal reagiert: und zwar mit der Weiterentwicklung der aus dem Jahr 1981 stammenden bronzenen Gedenkstele von Friedrich Koller um eine halbrunde, durchlöcherte Stahlwand im Jahr 2008. Sie sollte die verheerende Wucht der detonierten Bombe symbolisieren und beim Betrachter Empathie auslösen oder zumindest eine Ahnung von den Verletzungen und Schmerzen der Anschlags-Opfer vermitteln. Mit der neuen „Dokumentation Oktoberfest-Attentat“ hier gegenüber, die wir heute offiziell eröffnen und der ich große öffentliche Resonanz wünsche, führen wir diese Neuausrichtung des Gedenkens weiter fort.

Lebensgroße und beleuchtete Silhouetten sollen an die mehr als 200 Betroffenen des Attentats erinnern. Ergänzt wird der Ort um Bilder und Texte, die sich auch digital abrufen lassen und weiterführende Informationen liefern. Aber auch diese neue Dokumentation ist nur ein Teil unserer Bemühungen, aus den Versäumnissen der Vergangenheit zu lernen und dafür zu sorgen, dass die Geschichte dieses barbarischen Terrorakts noch fester im kollektiven Gedächtnis unserer Stadt verankert wird. Vor allem aber dürfen wir die Schicksale der Betroffenen und ihre mehr als berechtigten Wünsche nach Anerkennung ihres Leids niemals wieder aus den Augen verlieren.

Im Prunkhof des Münchner Rathauses haben wir 2018 mit einer Gedenktafel einen weiteren Erinnerungsort geschaffen. Der dient nun ebenso unserem Anliegen, die Auseinandersetzung mit dem Attentat und seinen Folgen im öffentlichen Bewusstsein noch präsenter zu machen. Und auch dazu, die Anteilnahme am Schicksal der Betroffenen mitten ins Herz der Stadt zu führen. Aber das Wichtigste für mich ist: Anders als früher legen wir heute größten Wert darauf, dass die dafür notwendigen Entscheidungen und Realisierungsprozesse in enger Absprache mit den Überlebenden und wo immer möglich unter deren aktiver Beteiligung erfolgen. Das gilt für die Gedenktafel am Rathaus ebenso wie für die neue Dokumentation an der Theresienwiese.

Denn was wir auf gar keinen Fall mehr wollen ist, dass über die Köpfe der Betroffenen hinweg Entscheidungen gefällt werden, die ihren Blick auf die Ereignisse und vor allem ihren Schmerz und ihre Trauer außer Acht lassen. Den Wunsch nach einem Austausch untereinander und einer Möglichkeit zur Mitgestaltung der städtischen Erinnerungsarbeit haben wir oft gehört und wir tragen dem seit geraumer Zeit auch selbstverständlich Rechnung. Aus diesen Gesprächen ergab sich ein weiterer Blickwinkel, der den Betroffenen und Überlebenden sehr wichtig war und ist: Solidarität Ihnen gegenüber ist nicht nur ein absolutes Gebot der Mitmenschlichkeit, sondern auch ein klarer gesamtgesellschaftlicher Auftrag sich gegen jede Form von Rechtsextremismus, Rassismus oder Antisemitismus zu positionieren und auch zu engagieren. Denn diesen Kampf werden wir nur dann gewinnen, wenn wir angesichts von Hetze, Hass und Terror als Gesellschaft fest zusammenstehen und die Leidtragenden von Verbrechen und Gewalt nicht alleine lassen. Für uns alle ist dies der Auftrag, ja die dauerhafte Verpflichtung, die Erinnerungsarbeit verantwortungsvoll fortzusetzen und den Kontakt zu den Überlebenden, Hinterbliebenen und Angehörigen des Oktoberfest-Attentats nicht wieder abreißen zu lassen.

Ich danke allen Beteiligten, insbesondere der Münchner DGB-Jugend, die die jährliche Kundgebung hier am Mahnmal auch heuer wieder in Kooperation mit der Landeshauptstadt organisiert hat. Allen Gästen der Veranstaltung danke ich ganz herzlich für ihr Kommen und ihre Unterstützung!

Rede: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Vier Jahrzehnte sind seit dem Anschlag auf das Oktoberfest 1980 vergangen. Fast zwei Generationen und viel Geschichte liegen zwischen diesem 26. September und heute. Aus zwei deutschen Staaten ist einer geworden. Nächste Woche werden wir dreißig Jahre Einheit feiern. Eine Ewigkeit scheint vergangen. Und doch ist uns dieser furchtbare Tag nah. Sein Schrecken ist uns allen wieder nah, gerade jetzt, nach dem Mord an Walter Lübcke, nach den Taten von Halle und Hanau.

Vor allem für Sie, für die Opfer und Hinterbliebenen bleibt dieser 26. September 1980 unendlich nah, ein unauslöschliches Datum. Ein tiefer Einschnitt, ein Schmerz, der nicht vergeht. Niemand entkommt dem Schatten, den der Terror über ein Leben legt. Auf den Opfern, auf Ermittlern, Politikern, Anwälten und Staatsanwälten – auf jedem von Ihnen lasten die vergangenen vierzig Jahre.

Besonders aber auf Ihnen, den überlebenden Opfern, den Angehörigen, die Kinder, Mütter oder Väter verloren haben.

Wie soll ein Siebenjähriger das Bild seiner schwerverletzten Mutter vergessen? Den Eindruck der Hilflosigkeit, den sein Vater, den die Erwachsenen um ihn herum auf ihn machten? Wie sollte er den Feuerwehrmann vergessen, der mit ihm das Vaterunser beten wollte?

Wie soll eine leidenschaftliche Bergsteigerin, der die Bombe Fuß und Rücken zerfetzte, vergessen, dass sie in den langen Jahren nach dem Attentat Berggipfel nur noch auf Fotos sah und stattdessen mühsam wieder laufen lernen musste.

Und vor allem: Wie leben die Mütter, Väter und Kinder weiter, deren Nächste ums Leben kamen? In deren Leben eine Lücke gerissen wurde, die niemals wieder zu schließen war? Die den Schmerz um ihren Verlust tragen mussten und die Wut darüber, dass ihre Fragen unbeantwortet blieben. Fragen nämlich, wer ihnen diesen Schmerz zugefügt hat und warum?

Ja, vierzig Jahre später müssen wir beschämt eingestehen: Viele Fragen sind offen geblieben. Fragen, die ein sorgfältiges Ermittlungsverfahren hätten beantworten müssen. Fragen, die im ersten Anlauf aber nicht beantwortet wurden und die im zweiten nicht mehr beantwortet werden konnten. Diese offene Wunde bleibt. Umso mehr sind wir heute in der Pflicht, den Überlebenden jenseits der strafrechtlichen Ermittlung beizustehen. Wie leben sie, wie geht es ihnen heute? Wer lindert ihre Schmerzen, wer hilft ihnen im Alltag, wer steht bei, wo die fortdauernde Behandlung ihrer Verletzungen erforderlich ist?

Auch diese Fragen wurden lange nicht gestellt oder blieben unbeantwortet. Sie waren Gegenstand jahrzehntelanger Auseinandersetzungen und Quell vieler Enttäuschung und Verzweiflung bei den Angehörigen und Opfern.

Ich bin deshalb froh und dankbar, dass die Betroffenen nach vierzig Jahren nun – über bisher Geleistetes hinaus – eine finanzielle Unterstützung erhalten, auf die sie schon so lange gewartet haben. Herr Oberbürgermeister, Sie haben es bereits angesprochen. Der Fonds in Höhe von 1,2 Millionen Euro, den der Bund, der Freistaat Bayern und die Landeshauptstadt München jetzt einrichten werden, ist ein spätes, aber ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Opfern.

Über die praktische Solidarität hinaus haben wir eine zweite Verpflichtung: die, nicht zu vergessen. Die Erinnerung wachzuhalten. Gemeinsam zu trauern und zu gedenken. Und deshalb danke ich an erster Stelle Ihnen, den Überlebenden und den Angehörigen der Opfer, von Herzen dafür, dass Sie heute hier sind, dass Sie zu uns und mit uns sprechen. Wir brauchen Ihr Wort und Ihr Zeugnis, wenn wir an die Opfer dieses Anschlags erinnern, an die Toten wie an die Überlebenden.

Ich danke der Stadt München und der Gewerkschaftsjugend, die diese und andere vorangegangene Gedenkveranstaltungen möglich gemacht haben.

Ich danke Ulrich Chaussy, der in den vergangenen vierzig Jahren keine Ruhe gegeben hat, der sich nie mit den Widersprüchen zwischen Zeugenaussagen, Indizien und Ermittlungsergebnissen abfinden wollte und trotz aller Widrigkeiten weiter bohrte und weiter recherchierte.

Mein Dank gilt Werner Dietrich, der als Vertreter der Nebenklage den Opfern eine Stimme gegeben, unermüdlich für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gestritten und sie schließlich – im dritten Anlauf – auch erreicht hat.

Ja, und ich danke auch dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann und der bayerischen Staatsregierung dafür, dass sie diese Wiederaufnahme des Verfahrens unterstützt haben.

Meine Damen und Herren, mein Dank gilt Ihnen allen, weil Sie getan haben, was in Ihrer Macht steht, um den blinden Fleck des Geschehens auszuleuchten, und zur Aufklärung der Hintergründe beizutragen. Die wieder aufgenommenen Ermittlungen konnten die offenen Fragen zwar nicht mehr beantworten. Aber sie haben zu einer klaren Einordnung des Generalbundesanwalts geführt: Der Anschlag auf das Oktoberfest 1980 war ein rechtsterroristischer Anschlag. Diese Erkenntnis macht einen Unterschied. Wie jede Erkenntnis macht sie uns freier. Sie war notwendig – und sie war ein Gewinn.

Denn die unzureichende Aufklärung dieser Terrortat – sie schmerzt nicht nur die Opfer von damals. Auch unser demokratisches Gemeinwesen, unser Rechtsstaat trägt eine Wunde davon – bis heute. Die Verbindungen des Attentäters Gundolf Köhler zur rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann waren schon 1980 bekannt.

Nach der Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens 2014 aber fehlten die Asservate für eine Beweisführung, etwa durch DNAAnhaftungen. Es fehlten wichtige, vielleicht entscheidende Beweismittel. Eine Tatbeteiligung der Wehrsportgruppe Hoffmann oder anderer rechtsextremer Netzwerke konnte nicht mehr nachgewiesen werden. Nichtaufklärung, wo Aufklärung möglich und nötig gewesen wäre, ist unentschuldbar und ein Versagen, das das Vertrauen in Ermittlungsbehörden und Justiz berührt.

Nie sollte sich in Deutschland Vergleichbares wiederholen! Diese Erkenntnis hätten wir uns doch zumindest, alle gemeinsam, als Lehre aus München gewünscht. Ein Wunsch, der sich nicht erfüllen sollte. 2011 erfuhren wir von der Mordserie des NSU. Zehn Menschen waren aus rechtsextremen Motiven ermordet worden, ohne dass je ernsthaft in diese Richtung ermittelt worden war.

Sind rechtsextreme Netzwerke in der Strafverfolgung zu selten wahr- und noch seltener ernstgenommen worden? Die Geschichte rechtsextremer Straftaten und Mordanschläge in unserem Land lässt zwei Antworten zu. Entweder hat sich die Erkenntnis, dass auch rechte Attentäter ein Umfeld haben, in Netzwerke eingebunden sind oder sich von ihnen inspirieren lassen, erst spät – zu spät – durchgesetzt, oder diese Erkenntnis wurde bewusst missachtet.

Wenn wir den Opfern des Attentats vor vierzig Jahren gerecht werden wollen, dann muss das Gedenken an sie auch ein Nachdenken über uns sein, ein Nachdenken über Fehler, Versäumnisse und blinde Flecken bei der Aufklärung rechtsextremistischer Anschläge in der
Vergangenheit.

Zu diesem Nachdenken gehört es, zu fragen, ob es typische, sich wiederholende Defizite in der Strafverfolgung gab und möglicherweise noch immer gibt.

Wir wissen: Rechtsextremistische Netzwerke existieren. Die Mordserie des NSU hat Licht in diesen toten Winkel der Strafverfolgung gebracht. Sie hat – auch im Urteil von Sicherheitsbehörden – gezeigt, dass Ermittlungen ins Leere laufen, wenn sie nicht, wie es sein sollte, vorbehaltlos erfolgen, sondern von Befangenheit und Vorurteilen geleitet werden; sie hat gezeigt, dass Opfer und Täter verwechselt werden, wenn Ermittler ihrem Ressentiment folgen; dass Tatmuster und Hintergründe nicht erkannt werden, wenn Ermittlungsbehörde ihre Erkenntnisse nicht austauschen.

Fehler wie diese können Strafverfolgung in ihr Gegenteil verkehren. Ja, sie gefährden den demokratischen Rechtsstaat. Deshalb müssen wir sie erkennen und korrigieren – mit allem Nachdruck und aller Ernsthaftigkeit.

Denn die Täter und Mittäter, die aus rassistischen, menschenverachtenden Motiven handeln, die Hass, Gewalt und Bomben einsetzen, die Serienmorde begehen, die ihre Opfer verhöhnen und die Verantwortung für ihre Taten leugnen, haben ein Ziel. Dieses Ziel sind wir alle. Es ist unser Gemeinwesen, die Gesellschaft, unsere freiheitliche Ordnung, die sie als „System“ verhöhnen, die zerstört werden soll. Ihr Ziel ist es, uns das Fürchten zu lehren.

In diesen Hinterhalt lassen wir uns nicht zwingen. Wir erkennen die Bedrohung und überwinden die Angst. Wir stehen zusammen und helfen den Opfern und den Hinterbliebenen, sich wieder sicher und aufgehoben zu fühlen, in unserer Mitte.

Denke ich an den Herbst 1980, in dem der Anschlag auf das Oktoberfest verübt wurde, dann erinnere ich mich an den Film von Margarethe von Trotta, der nur wenig später in die Kinos kam: Die bleierne Zeit.

Die Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer, das Drama um die entführte Lufthansa-Maschine Landshut und die Selbstmorde der führenden Mitglieder der RAF – all das lag im Oktober 1980 gerade drei Jahre zurück. Der Deutsche Herbst, wie diese bedrückende Zeit im September und Oktober 1977 bis heute heißt, legte sich lange, lähmend und bleiern auf unser Land.

In dieser aufgerauten Atmosphäre wurde 1980 ein neuer Bundestag gewählt. Wer diese Zeit erlebt hat, erinnert sich an einen extrem polarisierten Wahlkampf, bestimmt von harten rhetorischen Zweikämpfen und einem bis aufs Äußerste gereizten politischen Klima.

Die Kontrahenten hießen Franz Josef Strauß und Helmut Schmidt. Zwei Männer, die politische Gegner waren und einander dennoch, wie wir heute wissen, achteten.

Im Wahlkampf 1980 wäre niemand auf die Idee gekommen, dass ihre politische Gegnerschaft eines Tages in eine persönliche Wertschätzung münden würde. Die erbitterten Auseinandersetzungen, die sich Schmidt und Strauß in diesem Wahlkampf lieferten, die Tumulte und Krawalle, die diesen Wahlkampf begleiteten, ließen eine solche Vorstellung nachgerade unmöglich erscheinen. Zu schroff schienen die Gegensätze, zu verletzend die Rhetorik, zu tief das Zerwürfnis. Zwischen den Personen und zwischen den politischen Lagern.

In dieser aufgeheizten, feindlichen Atmosphäre zündete der Attentäter vom 26. September 1980 die Bombe – neun Tage vor dem Wahltermin.

Auch vierzig Jahre später dringen die Bilder aus dem Gedächtnis hervor: Das Chaos, die Schreie, das Blut. Zwölf Menschen wurden ermordet, 213 verletzt, viele von ihnen so schwer, dass sie tagelang in Münchner Krankenhäusern um ihr Leben rangen. Das Oktoberfest ging weiter. Es wurde nur am Tag der Trauerfeier für 24 Stunden unterbrochen.

Die politischen Auseinandersetzungen aber ruhten nicht einmal für eine Stunde. Sie nahmen an Schärfe noch zu. Die verbliebenen Tage bis zur Bundestagswahl am 5. Oktober bestimmte zusätzlich der Parteienstreit um die politische Verantwortung für das Attentat – die Instrumentalisierung des Anschlags im Wahlkampf in beide Richtungen. Beide Seiten wiesen einander eine Mitverantwortung für das Attentat zu und drohten mit Verleumdungsklagen.

Es ist diese Situation, die ich meine, wenn ich vom Hinterhalt des Terrors spreche. Attentäter morden skrupellos. Ihre Opfer sind ihnen nur Mittel zum Zweck. Der Zweck aber, die zerstörerische Wirkmacht des politischen Anschlags, ist erst dann erreicht, wenn das Ziel der Zerstörung – die politische Ordnung – die beabsichtigte Reaktion zeigt. Das Ziel des rechtsextremistischen Terroranschlags vor vierzig Jahren war genau das, was eintrat: Dass Demokraten miteinander im Streit um die Verantwortung für den Terrorakt liegen. Schlimmer noch, dass sie einander die Schuld dafür zuweisen.

Dass dieser Streit, diese gegenseitigen Schuldzuweisungen – jedenfalls unter den demokratischen Parteien unseres Landes – überwunden sind, spricht für die demokratische Kultur und die Zivilität unseres Landes. Ob die Lektion dauerhaft gelernt ist, ist offen. Es hängt davon ab, ob die demokratischen Parteien untereinander den wichtigen Unterschied zwischen Gegnerschaft und Kontroverse einerseits und Feindschaft, Hass und Verachtung andererseits auch in Zukunft respektieren. Kontroverse und auch scharfe Konfrontation braucht jede Demokratie, das ja. Häme, Hass und Verachtung aber schaffen ein Klima, in dem einige sich zur Anwendung von Gewalt ermuntert sehen.

Diese Bedrohung ist vierzig Jahre nach München nicht kleiner geworden. Vor drei Tagen habe ich in Berlin mit Angehörigen der Opfer der kaltblütigen Morde von Hanau gesprochen. In zwei Wochen jährt sich der Anschlag auf die Synagoge in Halle.

Halten wir deshalb die Erinnerung an München wach – auch an die Fehler, die gemacht worden sind. Nur wer seine Fehler kennt, wird sie korrigieren können. Denn auch für Hanau und Halle gilt: Wir mögen die konkreten Täter kennen. Aber das befreit uns nicht von der Verpflichtung, ihre Motive zu ergründen, ihr Umfeld zu ermitteln und die Netzwerke zu durchleuchten, mit denen sie in Verbindung standen.

Wegschauen ist nicht mehr erlaubt. Nicht nach dem Oktoberfestattentat, nicht nach dem NSU-Prozess, nach den Drohschreiben des NSU 2.0, nach Waffenfunden und Feindeslisten sogenannter Preppergruppen mit Verbindungen zu Reservisten der Bundeswehr, Kriminalbeamten, Spezialeinsatzkommandos, ja selbst zu Richtern und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, nicht nach der Aufdeckung einer rechtsextremen Chatgruppe innerhalb der Polizei in Nordrhein-Westfalen.

Alarmismus bringt uns nicht weiter. Aber Selbstberuhigung ist eine Gefahr. Es geht um die Integrität unserer rechtsstaatlichen Institutionen. Sie müssen wir schützen – um der Zukunft unserer Demokratie willen!

Ich vertraue unserer Polizei. Ich vertraue den vielen Beamtinnen und Beamten, die täglich für Recht und Demokratie einstehen und die stolz darauf sind, die Freiheit zu schützen. Viele habe ich getroffen und gesprochen. Ich weiß, was sie leisten. Sie brauchen dieses Vertrauen, und sie verdienen es. Feinde der Freiheit und der Demokratie dürfen in der Polizei nicht geduldet werden. Es muss jede Anstrengung unternommen werden, rechtsextreme Netzwerke zu enttarnen, wo es sie gibt. Die Polizeiführungen und die politisch Verantwortlichen dürfen kein Klima dulden, in dem sie entstehen und von anderen gedeckt werden können.

Das ist unser gemeinsames Interesse. Aber ich bin überzeugt: Es entspricht auch dem Willen der überwältigenden Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten, dass ihr Ansehen und das in sie gesetzte Vertrauen nicht von Verfassungsfeinden in den eigenen Reihen beschädigt werden.

Der Rechtsextremismus hat tiefe Wurzeln in unserer Gesellschaft. Die Erinnerung an die vielen auch nach 1980 verübten rechtsextremistischen Terrortaten und an die große Zahl ihrer Opfer muss einen angemessenen Platz finden im kollektiven Gedächtnis unseres Landes. Der heutige Tag sollte uns Anlass sein, diese Erinnerung zu fördern und wach zu halten.

Die rechtsterroristischen Mordtaten der vergangenen Jahrzehnte waren nicht das Werk von Verwirrten. Die Täter waren eingebunden in Netzwerke des Hasses und der Gewalt oder ließen sich von ihnen zu ihren Taten anstiften. Diese Netzwerke müssen wir aufspüren. Wir müssen sie bekämpfen – noch entschiedener als bisher!

Ich danke Ihnen.