
Am 21. Juli 2022 gedachten Angehörige, Vertreter*innen von Stadt und Drogenhilfeträgern sowie interessierten Bürger*innen am Münchner Marienplatz der 73 verstorbenen Drogengebraucher*innen in München in den vergangenen 12 Monaten, das sind über 15% mehr als im Vorjahr. Ihre einhellige Forderung an die bayerische Staatsregierung: Die Errichtung von Konsumräumen, die nachweislich Überleben sichern und den Zugang zum Hilfenetz erleichtern.
„Wir wollen den Verstorbenen mit unserem Gedenken einen Namen und ein Gesicht geben. Ihr seid nicht vergessen und ihr seid es wert“, so Moderator Olaf Ostermann, Abteilungsleiter Angebote für Ältere und niedrigschwellige Hilfen beim Condrobs e.V. Der Gedenktag unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Dieter Reiter setzt ein Zeichen der Solidarität mit Drogengebraucher*innen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Thekla von der Selbsthilfegruppe JES München verlas die Vornamen der Verstorbenen, während 73 weiße Rosen symbolisch auf einen Sarg abgelegt wurden. Die bewegende Zeremonie auf dem Marienplatz wurde durch Musik der Gruppe Donnelly Connection untermalt.
In den letzten 25 Jahren sind insgesamt 1.351 Drogentote in München zu beklagen, weil ihnen in bestimmten Momenten ihres Lebens Hilfe gefehlt hat. Ostermann stellte heraus: Diese traurige Zahl könnte durch Konsumräume und durch drug checking auch in Bayern erheblich gesenkt werden.
Bürgermeisterin Verena Dietl hob in ihrer Ansprache die Solidarität der Stadt hervor: „Die Stadt steht hinter den Angehörigen und hinter den Einrichtungen, die helfen. Corona hat es schwieriger gemacht, den Menschen zur Seite zu stehen. Doch sie brauchen dringend gute Unterstützung.“ Dietl betonte, die Stadt München fordere seit 2017, einen Konsumraum als Modellprojekt zu eröffnen. Das aber liege in der Verantwortung der Länder. Dietl versprach:
„Wir werden nicht locker lassen!“
Tobias Oliveira Weismantel, Geschäftsführer der Münchner Aidshilfe, ergänzte, dass auch der Ausbau von Substitutionsplätzen wichtig ist, um Überleben zu sichern. Er appellierte an alle:
„Es braucht mehr therapeutische Angebote, statt des sinnlosen Strafens von Delikten. Mit diesen Delikten bestrafen sich die Betroffenen meist selbst ohnehin.“
Margot Wagenhäuser, Leiterin des Fachbereichs Therapieverbund Sucht des Caritasverbands München e.V., hob hervor, dass die Mittel für Suchtprävention auf Bundesebene erfreulicherweise um 4 Mio. Euro erhöht wurden. Zu den konkreten Forderungen für eine bessere Versorgung in München gehöre auch die Schaffung von Wohnraum für Drogengebraucher*innen und die Entkriminalisierung von Konsument*innen.
Marco Stürmer, Geschäftsführer von Prop e.V. – Verein für Prävention, Jugendhilfe und Suchttherapie, erwähnte das erfolgreiche Naloxonprojekt als Beispiel dafür, dass sich auch in Bayern in den vergangenen 25 Jahren einiges bewegt habe. Wie gut Hilfe ankommen kann in Konsumräumen, habe er selbst in Augenschein genommen. Die Datenlage und der fachliche Konsens zur positiven Wirkung von Konsumräumen sei so groß wie noch nie.
Katrin Bahr, geschäftsführende Vorständin des Condrobs e.V., stellte klar: „Um ein würdiges Leben führen zu können, brauchen insbesondere vulnerable Menschen wie drogengebrauchende, suchtkranke Menschen, passgenaue Hilfsangebote.“ Sie erhob zwei Forderungen als wichtige Überlebensbausteine in der Suchthilfe: Fördergelder für die Naloxonvergabe, und die Einrichtung von Drogenkonsumräumen:
„Drogenkonsumräume wirken gesamtgesellschaftlich problemlösend. Deswegen hören wir nicht auf, Drogenkonsumräume hier in Bayern zu fordern! Denn alle Menschen haben ein Recht auf ein würdiges Leben.“
Olaf Ostermann brachte zum Schluss der Gedenkveranstaltung auf den Punkt:
„Jedes Wirtshaus in Bayern ist ein Konsumraum. Warum macht gerade Bayern hier so einen Unterschied?“
Denn: Der gesellschaftliche Schadensbericht wegen übermäßigem Alkoholkonsum sei gesellschaftlich viel höher als für illegalisierte Drogen: Er führe zu Gewalt, Vergewaltigung, Beleidigungen u.v.m. Ein Grund mehr, dem Beispiel von Baden-Württemberg zu folgen, das 2019 den Weg frei machte für Konsumräume. Bayern darf nicht Schlusslicht bleiben.
Das Bündnis:
- Über Caritas-Therapieverbund Sucht MünchenDer Therapieverbund Sucht umfasst Einrichtungen mit einem breiten Behandlungsangebot, deren Therapie- und Behandlungskonzept auf dem bio-psycho-sozialen Modell fußt. Das daraus resultierende Krankheits- bzw. Gesundheitsverständnis sieht die Abhängigkeit und ihre Folgeerscheinungen in einem umfassenden, individuellen und sozialen Zusammenhang. Mit diesem ganzheitlichen und auf die Ressourcen der Betroffenen fokussierten Blickwinkel können wir dem vielschichtigen Phänomen „Sucht“ sowie dem umfassenden Aufgabenspektrum der Beratung und Behandlung in besonderer Weise entsprechen.
Unter dem Motto „LebensMut. Stärker als Sucht“ möchten die fünf Einrichtungen des Caritas-Therapieverbunds Sucht München möglichst viele betroffene Menschen ermutigen, ihr bisheriges Leben zu ändern. Für Menschen, die den Mut haben, den ersten Schritt zu tun, bieten sie Informationen und persönliche Beratungen zum Konsum von Alkohol, Nikotin, Drogen und Medikamenten sowie den jeweiligen Therapiemöglichkeiten. Beratung und Hilfe bieten sie auch bei Essstörungen und Glücksspielsucht an. Ziel ist es, dass die Menschen ihre Lebensqualität wiedererlangen können. Einrichtungen des Caritas-Therapieverbund Sucht München sind: Fachambulanz für junge Suchtkranke, Fachambulanz für erwachsene Suchtkranke, Fachambulanz für Essstörungen, Fachambulanz für substitutionsgestützte Behandlung (ehemals Methadonambulanz) und das Begegnungszentrum „D3“. Weitere Infos: www.staerker-als-sucht.de
Über Condrobs e.V.
Condrobs hilft benachteiligten Menschen und ihren Angehörigen. Wir sind ein überkonfessioneller Träger mit vielfältigen sozialen Hilfsangeboten in ganz Bayern. Neben breit gefächerten Angeboten in der Prävention und Suchthilfe sind wir in der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Migrationsarbeit tätig. Condrobs ist Ausbilder und bietet betreute Arbeitsplätze für Frauen* und Männer*, die nach einer schwierigen Lebensphase wieder ins Arbeitsleben zurückkehren wollen. In unserer Akademie finden Fachleute themenspezifische Fortbildungen. Weitere Informationen unter www.condrobs.de
Über die Münchner Aids-Hilfe e. V.
Im Aids-Hilfe-Haus in der Lindwurmstraße 71 bieten heute 120 ehrenamtliche und über 60 hauptamtliche Mitarbeiter_innen bedürfnisgerechte Hilfsangebote, die von Information über Beratung und Betreuung bis zu Wohnen und Beschäftigung reichen. In der Therapeutischen Wohngemeinschaft haben wie unser Konzept erweitert und nehmen jetzt auch Menschen aus der LGBT*I-Community auf. Die Münchner Aids-Hilfe e.V. berät und begleitet HIV-Positive in der Justizvollzugsanstalt Bernau, leistet Präventionsarbeit in weiteren JVAs und engagiert sich für die Substitution von Gefangenen. Des Weiteren betreibt sie sechs Präventionsautomaten, wo Spritzen und Kondome zu kaufen sind. Die Automaten befinden sich am Stiglmaierplatz, an den U-Bahnhöfen Dülferstraße und Machtlfingerstraße, beim PEP in Neuperlach, am Pasinger Bahnhof sowie am Goetheplatz. Hier gibt es auch sogenannte Smoke-it Kits. Weitere Informationen unter www.muenchner-aidshilfe.de
Über Prop e.V. – Verein für Prävention, Jugendhilfe und Suchttherapie
Seit 50 Jahren bietet Prop e.V. mit rund 280 Beschäftigten in 22 Einrichtungen in und um München ein umfassendes Angebot in den Bereichen Prävention, Jugendhilfe und Suchttherapie an. Bei Prop steht der Mensch im Mittelpunkt. Ziel ist es, alle Hilfesuchenden individuell in die richtige Maßnahme zu begleiten. Der Verein ist mit der Clearingstelle für die Kinder- und Jugendhilfe seit über 25 Jahren im Jugendhilfebereich tätig. Suchtgefährdete Jugendliche werden mit FreD sowie über innovative Präventionsprojekte wie HaLT und Power-Peers unterstützt. In den Beratungsstellen finden Menschen in schwierigen Lebenssituationen kompetentes Fachpersonal. Auch Akuthilfe ist dem Verein wichtig. Der Drogennotdienst ist ein niedrigschwelliges Angebot der Überlebenshilfe mit einer Notschlafstelle, einem Kontaktladen und einer 24-Stundenberatungsstelle. In stationären Therapieeinrichtungen unterstützen multiprofessionelle Teams Drogen- und Alkoholabhängige kompetent und engagiert auf dem Weg in ein suchtfreies Leben. Nachsorge und Wiedereingliederung werden bei Prop großgeschrieben. Die Abv – Arbeitsberatung und -vermittlung hilft bei allen Schritten ins Berufsleben. Weitere Informationen unter www.prop-ev.de
Über Kritische Medizin München
Der Gruppe geht es darum, sozialpolitische Probleme in den Blick zu nehmen, welche im Gesundheitswesen zwar überall präsent sind, jedoch in Ausbildung, Studium und Berufsalltag nicht angemessen behandelt werden. Wir sind der Meinung, im Gesundheitssystem braucht es mehr kritische Stimmen, Selbstkritik am eigenen Rollenverständnis und Willen zur Veränderung bestehender Strukturen. Die Gruppe steht allen Menschen offen und soll eine Plattform für kritischen Diskurs, Aktivismus und Bildungsarbeit bieten. Wir kommen in regelmäßigen, offenen Plena zusammen und arbeiten themenbezogene Vorhaben in Arbeitsgruppen aus. Die Kritische Medizin München ist hierarchielos, alle Arbeitsgruppen und Projekte entwickeln sich aus dem Gruppenprozess und organisieren sich selbst. Dabei soll Input aus der Gruppe, sowie aus dem Austausch mit bestehenden Initiativen und Gruppierungen kommen. Wir sind für Gleichberechtigung und gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit. Konkret verstehen wir uns dabei als antifaschistisch, antisexistisch und antirassistisch. Wir wollen transparent, selbstkritisch, respektvoll und achtsam im Umgang miteinander arbeiten. Gemeinsam setzen wir uns für ein solidarisches, diskriminierungsfreies und wertschätzendes Gesundheitssystem ein. www.kritischemedizinmuenchen.de
Über Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit
Der „Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit München“ (AKS München) ist ein Zusammenschluss von in der Sozialen Arbeit Tätigen, Studierenden und Lehrenden im Großraum München. Der AKS München gründete sich im März 2011 in der Denktradition der Kritischen Sozialen Arbeit, deren Wurzeln bis in die späten 1960er-Jahre zurückreichen. Der AKS München arbeitet unabhängig, steht jedoch in Verbindung mit emanzipatorischen Bewegungen, den Arbeitskreisen Kritischer Sozialer Arbeit im In- und Ausland und Gewerkschaften. Die regulären monatlichen Treffen stehen allen Interessierten offen. Wir setzen uns dafür ein, strukturelle Ungleichbehandlung, Ausschluss- und Diskriminierungsprozesse sichtbar zu machen und ihnen entgegenzuwirken. Unsere Arbeit will informieren, provozieren und Befreiungshandeln anstoßen; gemeinsam setzen wir uns aktiv und widerständig für benachteiligte Menschen ein. Indem wir Zusammenhänge benennen, Bildungsprozesse anstoßen und Öffentlichkeit generieren, erzeugen wir ein kritisches Bewusstsein bei den Adressat*innen Sozialer Arbeit und im Bereich der Sozialen Arbeit tätigen, lehrenden und studierenden Personen, Politiker*innen und den Mitgliedern unserer Stadtgesellschaft; wir erarbeiten Handlungsalternativen, entwickeln Perspektiven und stoßen widerständiges Handeln und Veränderungsprozesse an. www.aks-muenchen.de
Über JES
JES (Junkies, Ehemalige und Substituierte) ist ein bundesweites Netzwerk von Gruppen, Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen, die sich unter dem gemeinsamen Dach des JES Bundesverbands für die Interessen und Bedürfnisse Drogen gebrauchender Menschen engagieren. Organisiert nach den Prinzipien der Freiwilligkeit und Solidarität, können sich bei JES alle Menschen engagieren die Drogen konsumieren, konsumiert haben oder substituiert werden. www.jes-bundesverband.de