
Gedenken auf dem Marienplatz: Erinnerung und politische Forderungen am 21. Juli
Am 21. Juli wurde der Münchner Marienplatz erneut zum Ort des stillen Gedenkens und zugleich zu einer eindringlichen politischen Kundgebung. Angehörige, Fachkräfte aus der Suchthilfe, städtische Vertreter*innen und zahlreiche engagierte Bürger*innen versammelten sich, um den 81 drogengebrauchenden Menschen zu gedenken, die im vergangenen Jahr in München verstorben waren – und um deutlich zu machen: Diese Tode hätten vielfach verhindert werden können.
Begleitet von klaren Appellen an die Politik rückte die Veranstaltung die drängenden Herausforderungen in der Suchthilfe in den Fokus. Im Zentrum standen Forderungen nach überlebenswichtigen Maßnahmen wie Drogenkonsumräumen, Drug-Checking und einem flächendeckenden Zugang zu Gesundheitsangeboten. Die Redner*innen machten unmissverständlich klar: Prävention und Hilfe dürfen keine Frage des politischen Willens oder des Wohnorts sein – sondern müssen verlässlich und für alle zugänglich sein.
„Teil unserer Gesellschaft“
Olaf Ostermann von Condrobs, der durch die Veranstaltung führte, hob hervor, dass das Gedenken weit mehr sei als ein symbolischer Akt: „Wir erinnern nicht anonym – wir nennen Namen, zeigen Gesichter und machen deutlich, dass diese Menschen Teil unserer Gesellschaft waren.“
Bürgermeisterin Dietl: „Müssen offen darüber sprechen“
In ihrem Redebeitrag unterstrich Bürgermeisterin Verena Dietl die Notwendigkeit, das Thema Suchtmittelkonsum zu thematisieren: „Wir müssen Drogenkonsum als eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung anerkennen und offen darüber sprechen. Es ist von wesentlicher Bedeutung, Aufklärung und Entstigmatisierung voranzutreiben.“ Um Änderungen zu bewirken, so Dietl, sei der Ausbau der Angebote von großer Bedeutung: „Die neu eröffnete Jugendsuchtberatung mit zwei Standorten stellt einen wichtigen Baustein in der Versorgungslandschaft der Landeshauptstadt München dar.“
Markus Bauer: „Nicht die Augen verschließen“
Im Namen des Caritas Therapieverbund Sucht richtete Markus Bauer das Wort an die Teilnehmenden – und v.a. auch an die Nichtteilnehmenden: „Substanzkonsum ist so alt wie die Menschheit selbst, aber in vielen Kulturen und Gesellschaften weltweit, so leider auch bei uns in München, herrscht häufig noch das Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“. Die Augen zu verschließen vor dem, was aber da ist und auch nicht zu vermeiden, ist der falscheste Weg, den man einschlagen kann. Und das ist noch nett formuliert.“
Thekla Andresen: „Verständnis, Unterstützung und gesellschaftliche Teilhabe“
Thekla Andresen vom JES Bundesverband erinnerte in ihrem Beitrag an einen zentralen Grundsatz der Gründungserklärung: „Drogengebraucher*innen besitzen ebenso wie alle Menschen ein Recht auf Menschenwürde. Sie brauchen es sich nicht erst durch angepasstes Verhalten zu erwerben.“ Dieser Satz bringt auf den Punkt, worum es im Kern geht – um Respekt, um Anerkennung und um ein menschenwürdiges Leben, unabhängig vom Konsumverhalten. Statt Ausgrenzung und Vertreibung brauche es Verständnis, Unterstützung und gesellschaftliche Teilhabe. Nur so könne echte Hilfe gelingen.
Stephanie Riehm: „Prävention kein Luxus“
Für die Münchner Aids-Hilfe fand Stephanie Riehm klare Worte: „Drogenkonsumräume retten Leben. Das ist keine Meinung, sondern Fakt.“ Sie betonte, dass Stigmatisierung keine Sucht verhindere, sondern wirksamen Schutz. Prävention sei kein Luxus, sondern Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Besonders hob sie hervor, dass jede verpasste Präventionsmöglichkeit ein Risiko sei – nicht nur für Konsumierende, sondern für uns alle. Ihr Appell: „Lassen Sie uns nicht nur erinnern, sondern Verantwortung übernehmen – für Gesundheit, für Menschenwürde, für das Leben.“
Barbara Likus, Stadträtin, Mitglied im Gesundheitsausschuss und Fachsprecherin für Menschenrechte, SPD-Fraktion, verlas dann die Namen der Verstorbenen des vergangenen Jahres. Es war ein ruhiger, ergreifender Moment, der dem Gedenken an die Verstorbenen in tiefem Respekt gewidmet war.
Katrin Bahr: „Substanzgebrauchsstörungen müssen ideologiefrei behandelt werden“
Katrin Bahr, geschäftsführende Vorständin von Condrobs, fand beim Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende klare Worte: „Substanzgebrauchsstörungen sind eine chronische Erkrankung wie jede andere auch und müssen ideologiefrei behandelt werden.“ Sie forderte die sofortige Zulassung von Drogenkonsumräumen mit integriertem Drug-Checking in Bayern, um Leben zu retten und wirksame Hilfe leisten zu können: „Wir benötigen dringend Drogenkonsumräume – jetzt sofort!
Am besten gleich mit integriertem Drug-Checking.“ Zudem betonte sie die Bedeutung der externen Suchtberatung in Haft: „Ohne diese Beratung würden es viele Menschen aus der Haft heraus nicht in geeignete Therapieeinrichtungen schaffen, würden es nicht schaffen, ihre Sucht zu überwinden und zurück in ein ganz normales Leben zu finden.“ Die Beratungsangebote seien jedoch chronisch unterfinanziert. Bahr forderte deshalb eine grundlegende Reform und verlässliche Finanzierung dieser lebenswichtigen Arbeit.
Marco Stürmer: „Mehr Akzeptanz, weniger Stigmatisierung“
Für Prop e. V. sprach Geschäftsführer Marco Stürmer, der aktuelle Entwicklungen in den Vordergrund stellte: „Neue Risikopotentiale für drogenkonsumierende Menschen stabilisieren sich und alle Indikatoren verweisen auf eine im höchsten Maße besorgniserregende Prognose. Der illegale Drogenmarkt ist volatil und dynamisch: Das Substanzspektrum differenziert sich immer weiter aus, die Potenz der Substanzen steigt, bei sinkenden Preisen und hoher Verfügbarkeit. Die Anzahl drogenbedingter Todesfälle erreicht in Deutschland seit Jahren traurige Rekordwerte.“ Bei den Verstorbenen, so Stürmer, handle es sich mitnichten um Zahlen in irgendwelchen Statistiken: „Jährlich am 21. Juli gedenken wir der Menschen, die wir durch den Konsum illegaler Substanzen verloren haben. Es sind Töchter, Söhne, Mütter und Väter, Freunde. Ihr Tod erinnert uns nicht zu vergessen und er mahnt uns, alles zu tun: Für eine Suchthilfe, die Leben schützt. Für eine Drogenpolitik, die auf Menschlichkeit, Gesundheitsversorgung und Schadensminimierung setzt. Für mehr Räume der Akzeptanz und weniger Verurteilung und Stigmatisierung.“
Roberto Lingnau-Beissel: „Abkehr von Verboten ist richtig“
Für den Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit betrat Roberto Lingnau-Beissel die Bühne: „Eine Abkehr davon, süchtiges Handeln und den Gebrauch illegalisierter Substanzen mittels Verbote und Strafen aus der Welt schaffen zu wollen, ist richtig und wichtig.“ Gleichzeitig müssen man sich Fragen stellen: „Ob nun eine Lösung in der umfassenden Hinwendung zur Medizin gefunden ist? Was ändert eine Gleichsetzung von „süchtig sein“ mit „krank sein“ wirklich? Kann Leid, Verelendung und Sterben dadurch nachhaltig verhindert werden?“
Mike (Betroffener): „Es muss nicht sein, dass Menschen sterben“
In seiner eindringlichen Rede beim Gedenktag erinnerte Mike an die vielen Freund*innen, die durch Drogenkonsum ums Leben kamen. „Wir sind immer unterwegs, ständig auf der Suche – nach einem Ort, nach Sicherheit. Aber wir werden nur fortgetrieben“, sagte er.
Er kritisierte die Verdrängung drogengebrauchender Menschen aus dem öffentlichen Raum und forderte konkrete Hilfsangebote: „Wir brauchen keine Gassen, keine versteckten Ecken. Wir brauchen Druckräume. Und nicht nur einen, sondern viele. An den Brennpunkten, wo Menschen wirklich Hilfe brauchen.“
Seine letzten Worte machten die Dringlichkeit spürbar: „Unsere Freund*innen sind tot, weil es keine sicheren Orte gab. Wie viele sollen noch gehen, bevor sich etwas ändert?“
Beteiligte Träger / Einrichtungen:
▪ Arbeitskreis kritische Soziale Arbeit
▪ Caritas Therapieverbund Sucht München
▪ Condrobs e. V.
▪ extra e. V.
▪ JES München, Selbsthilfe
▪ Münchner Aidshilfe e. V.
▪ Ärzte der Welt
▪ Therapie Sofort München gGmbH
▪ Prop e. V. – Verein für Prävention, Jugendhilfe und Suchttherapie